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Theorie: Willkommen

Einfluss der Umgebung auf Wohnprojekte (Stadt-Land)

Autor: Nils Dohr

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In der Wahrnehmung der meisten Menschen könnte das Wohnen auf dem Land und in der Stadt kaum unterschiedlicher sein. Mit städtischem Wohnen wird das Leben in einer kleinen Mietswohnung fern von Natur assoziiert. Im Gegensatz dazu bringen viele Menschen mit dem Leben auf dem Land das Wohnen in einem freistehenden Haus mit großem Grundstück in Verbindung. Auch in unserer Untersuchung transformativer Praktiken im Bereich Wohnen können Unterschiede aufgrund der Stadt-Land-Differenzen in Rheinland-Pfalz vermutet werden.

 

Innerhalb dieses Kapitels wird nun der Frage nachgegangen, ob die spezifischen Stadt-Land-Unterschiede in Rheinland-Pfalz Auswirkungen hinsichtlich Initiierung, Planung und Umsetzung auf die verschiedenen alternativen Wohnprojekte haben. Um diese Frage zu beantworten, wird sich bewusst auf die Wohnprojekte fokussiert, welche als „Alternativen“ eingestuft werden. In einem ersten Schritt werden diese Projekte dann zunächst kurz vorgestellt. Im Anschluss daran werden diese innerhalb von Rheinland-Pfalz mithilfe der Raumkategorien verortet. In einem zweiten Schritt folgt dann die Analyse zweier ausgewählter Fallbeispiele – eines verortet im ländlichen Raum und eines verortet im städtischen Raum. Im Anschluss daran folgt eine übergeordnete Diskussion über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Projekte hinsichtlich deren Verortung.

 

Alternative Wohnprojekte in Rheinland-Pfalz?

Bei den identifizierten Pionieren des Wandels handelt es sich um Projekte, bei denen aktiv Wohnraum geschaffen wird. Es ist damit keine Initiative in Rheinland-Pfalz vorhanden, welche nur alternatives Wohnen bewirbt, aber aktiv selber keine Möglichkeit dazu bietet.

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All diese Projekte vereint zudem die Tatsache, dass alle gemeinschaftliches Wohnen bzw. gemeinschaftliches Leben als eines ihrer Hauptziele formulieren. Hierbei rückt die Gemeinschaft der einzelnen Individuen in den Vordergrund und die Eigenbelange der Einzelpersonen weiter in den Hintergrund. Ausdrücken kann sich eine solche Lebensform bspw. durch die gegenseitige Unterstützung im Alltag oder aber auch das Bereitstellen von gewissen Dienstleistungen und Infrastrukturen für die Gemeinschaft. Wie stark ausgeprägt hierbei die Kooperation der einzelnen Teilnehmer ist, unterscheidet sich in den rheinland-pfälzischen Initiativen von Projekt zu Projekt. Weitere Ziele der rheinland-pfälzischen Projekte sind z.B. die Bereitstellung von Kulturangeboten für die Allgemeinheit, das autarke Leben in einer Gemeinschaft oder aber auch die Sensibilisierung für einen nachhaltigeren Umgang mit natürlichen Ressourcen. Dies stellt nur einen kleinen Ausschnitt der Ziele der Projekte dar. Allgemein werden noch weitere Ziele verfolgt, welche der Basiskarte dieser Arbeit entnommen werden können.

 

Die Trägerschaft alternativer Wohnprojekte in Rheinland-Pfalz ist unterschiedlich. So werden die 13 verschiedenen Projekte privat [4], genossenschaftlich [3], durch einen Verein [3] oder durch eine Personengesellschaft [3] betrieben. Inwieweit hierbei die einzelnen Bewohner:innen der Wohnprojekte mit in die Finanzierung dieser eingebunden sind, variiert ebenfalls von Projekt zu Projekt. Von einem Projekt, welches von einer Einzelperson finanziert wird, bis hin zu Projekten, welche durch die Bewohner:innen eigenständig finanziert werden, sind unterschiedlichste Formen der Finanzierung vorhanden – ein Unterschied zwischen Stadt und Land konnte dabei allerdings nicht festgestellt werden.

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Wichtig zu erwähnen ist hierbei, dass von den 13 betrachteten Projekten derzeit zehn Stück bereits umgesetzt sind. Nur die Projekte „ECO-Village-Koblenz“ und das Wohnprojekt des Wohnkulturhofes Pluwig sind noch nicht umgesetzt. „ECO-Village Koblenz“ sucht derzeit noch nach einem geeigneten Standort zur Umsetzung des Projektes. Angedacht sind Standorte innerhalb der Eifel oder des Westerwaldes.

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Das Wohnprojekt des Wohnkulturhofes Pluwig ist hier bereits einige Schritte weiter und befindet sich in der konkreten Planungsphase der Gebäude und des Geländes (vgl. Interview Wohnkulturhof Pluwig 04.11.2021). Die Teilnehmer:innenzahl der umgesetzten Projekte liegt hier im Durchschnitt im niedrigen zweistelligen Bereich, was auf die Größe der Projekte zurückzuführen ist. Einzig das Projekt „Schammatdorf Trier“ mit 285 beteiligten Personen ist als Ausnahme zu werten. Diese relativ hohe Anzahl an beteiligten Personen geht zum einen darauf zurück, dass es sich bei diesem Projekt um eines handelt, welches ein gesamtes Stadtquartier in den Stilen des alternativen Wohnens betreibt (vgl. Interview Schammatdorf 08.11.2021).

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Allgemein sind aber auch hier keine großartigen Unterschiede zwischen den städtischen und den ländlichen Projekten zu erkennen. Bei all diesen – Ausnahme wie genannt Schammatdorf – handelt es sich vor allem um kleinteilige auf einen kleinen Personenkreis und wenige Gebäude beschränkte Wohnprojekte. Interessant ist dies vor allem deswegen, da im städtischen Raum mehr Wohnraum und damit verbunden ein größerer Planungsapparat zur Verfügung steht. Daher hätte vermutet werden können, dass dort auch die umgesetzten Projekte größer seien. In der Realität ist dies jedoch nicht der Fall.

 

Wo sind alternative Wohnprojekte in Rheinland-Pfalz zu finden?

Die Verortung der einzelnen Projekte bzw. Initiativen kann auf der Landkarte der Transformation eingesehen werden. Werden die Standorte der Projekte mit den Raumkategorien abgeglichen, ergibt sich folgende Einteilung der Projekte hinsichtlich der Zuordnung zum städtischen bzw. ländlichen Raum:

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Tab. 1: Einteilung der alternativen Wohnprojekte in Rheinland-Pfalz nach Raumkategorien        (eigene Darstellung)

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Wie in Tab. 1 zu erkennen ist, sind der Großteil der alternativen Wohnprojekte im städtischen Raum vorzufinden. Zehn der 13 Projekte sind hier verortet. Nur drei der Projekte, die auf eine strukturelle Transformation abzielen, sind im ländlichen Raum beheimatet. Die übrigen Projekte beinhalten zwar transformative, alternative Ansätze, sind in ihrer Gesamtheit jedoch noch nicht als alternative Wohnform anzusehen. Diese Projekte sind ebenfalls vor allem im städtischen Raum aufzufinden. Insgesamt sind acht der elf Projekte ebenfalls in (hoch) verdichteten Räumen vorzufinden. Mögliche Erklärungsansätze hierfür werden später noch genauer betrachtet.

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Im Anschluss an die vorgenommene Verortung und den kurzen Überblick über die alternativen Wohnprojekte in Rheinland-Pfalz werden nun zwei Beispiel – eines aus dem städtischen und eines aus dem ländlichen Kontext – vorgestellt und analysiert.

           

WohnLebensGemeinschaft Anschau Hof als ländliches Fallbeispiel

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Abb.1: WohnLebensGeminschaft "Anschau Hof (Eigene Aufnahme)

 

Als ländliches Fallbeispiel wurde die „WohnLebensGemeinschaft“ in Anschau ausgewählt. Projektstart war den Angaben des Initiators Rüdiger Finger nach im Jahr 2010 (vgl. Interview WohnLebensGemeinschaft Anschau Hof 17.12.2021). Innerhalb des Projektes wurde ein ehemaliger Bauernhof mit angrenzendem Stall zu einer Wohn- und Lebensgemeinschaft umgebaut. Die umgestalteten Gebäude verfügen derzeit über sieben bezugsfertige Wohnungen mit begehbaren (und zusammenhängenden) Terrassen, etliche Freiflächen (wie bspw. dem gemeinsamen Garten) und zahlreicher Gemeinschaftsräume (wie bspw. der Bibliothek, dem Atelier oder der Sauna). Derzeit werden drei der sieben Wohnungen bewohnt und insgesamt wirken in der Lebensgemeinschaft vor Ort fünf Personen mit. Der derzeitige hohe Leerstand kann durch die Neustrukturierung des Projektes in der jüngeren Vergangenheit erklärt werden. Zu den Bewohner:innen vor Ort kommt extern eine weitere Familie dazu, die das Projekt und dessen Ziele unterstützt, jedoch nicht selber in dieser Wohngemeinschaft lebt (vgl. Interview WohnLebensGemeinschaft Anschau Hof 17.12.2021).

 

Ziel des Initiators ist es, ein Modellprojekt zu schaffen anhand dessen ein neuer Ansatz des Wohnens ermöglicht wird. Verzicht bzw. eine autarke Versorgung innerhalb einer Gemeinschaft sind hierbei die beiden Leitziele dieses Projektes (vgl. Interview WohnLebensGemeinschaft Anschau Hof 17.12.2021). Dafür wird bspw. Regenwasser mithilfe einer Zisterne gespeichert und der persönliche Raum innerhalb der Wohnungen auf das Mindeste reduziert. Zudem dient der Garten mit seinen Früchten der Versorgung der Lebensgemeinschaft mit Lebensmitteln (erreicht jedoch keine vollkommene Autarkie). Die Bibliothek dient der Weiterbildung der Gemeinschaft hinsichtlich unterschiedlichster Thematiken und Solaranlagen und eine geplante Windenergieanlage dienen der Versorgung mit Elektrizität. Somit sollen durch das Projekt ebenfalls Thematiken wie Recycling, Ressourcenschonung, Energieverbrauch und Müllreduzierung behandelt und angegangen werden. Es handelt sich somit hier nicht nur um ein Wohnprojekt, sondern dieses Projekt umfasst alle Dimensionen des menschlichen Lebens (vgl. Interview WohnLebensGemeinschaft Anschau Hof 17.12.2021).

 

Rüdiger Finger ist nicht nur Initiator des Projektes, sondern auch alleiniger Träger. Dieser kaufte 2010 mit einer Partnerin (jedoch bereits ausgestiegen und ausbezahlt) das Gelände und baute dieses in den folgenden Jahren selber um. Finanziert wurde das ganze Projekt zum Großteil von seinem Privatvermögen. Einzig für die Umbauten der Gebäude wurden niedrige fünfstellige Fördermittel genehmigt (vgl. Interview WohnLebensGemeinschaft Anschau Hof 17.12.2021). Ebenso wurden die generierten Mieteinnahmen direkt wieder in das Projekt reinvestiert. Ziel war es, dass Projekt schuldenfrei umzusetzen (deswegen die Finanzierung aus seinem Privatvermögen), damit dieses auch nach seinem Ableben weiterhin Bestand hat. Hieran ist gut zu erkennen, dass es bei diesem Projekt nicht um die wirtschaftlichen Interessen des Trägers, sondern um die Lebensgemeinschaft und das dahinterstehende Konzept an sich geht.

 

Wird die soziale Ausrichtung des Projektes betrachtet, fällt auf, dass im Vordergrund der Initiative die Lebensgemeinschaft, die Hilfe untereinander, das Beisammensein in der Gesellschaft und das Knüpfen von Freundschaften steht. Nach Aussagen Fingers (vgl. Interview WohnLebensGemeinschaft Anschau Hof 17.12.2021) führt dies eben dazu, dass keine feste Zielgruppe für das Projekt gesucht wird. Es kann jeder, der sich mit den Zielen des Projektes identifiziert, bei diesem mitwirken. Auch genau aus diesem Grund entschied sich Finger damals gegen die Umsetzung des Projektes in Form einer Genossenschaft, da hierdurch bestimmte Bevölkerungsschichten von der Nutzung bzw. der Mitwirkung an diesem Projekt ausgeschlossen wären. Ebenso übernimmt das Projekt wichtige Aufgaben der ländlichen Daseinsvorsorge. So kann die Bibliothek durch Bewohner:innen des Ortes Anschau genutzt werden und zukünftig sollen dort verschiedenste Kurse und Seminare von den Bewohner:innen sowie Externen angeboten werden. Des Weiteren werden im Hofladen frisches Gemüse, Honig und weitere Naturprodukte vertrieben. Diese sollen den Bewohner:innen den Anreiz geben, selber Gemüse anzubauen. Ebenso soll einer der Gemeinschaftsräume in nächster Zeit als Gaststube fungieren. Hier befindet sich der Projektträger im Aushandlungsprozess um eine Ausschankgenehmigung. Außerdem beinhaltet die Lebensgemeinschaft ein Krankenzimmer. Und Finger selber bot der örtlichen Feuerwehr seine Dienste als Arzt an.

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Bei diesem Projekt profitieren nicht nur die Bewohner:innen, sondern auch die Allgemeinheit. Dahinter steht das Ziel die ortsansässige Bevölkerung mit in das Projekt zu integrieren und deren Handeln und Umgang mit Ressourcen zu beeinflussen. Grundsatz ist hierbei, dass dies „nicht missionarisch, sondern [als] Vorbild“ (vgl. Interview WohnLebensGemeinschaft Anschau Hof 17.12.2021)  geschieht.

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„Die Gastwirtschaft und der Laden dienen nicht

zum Verkauf und Erwerb, sondern um den Leuten zu zeigen:

Guck mal, so tolles Gemüse könnt ihr auch anbauen“

(vgl. Interview Anschau Hof)

 

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Die ökologische Ausrichtung der Initiative wird bereits an den Zielsetzungen der behandelten Thematiken und Handlungsfeldern des Projektes klar. Mit dem Hintergrund des Klimawandels und der Energiewende setzt das Projekt auf Ressourcenschonung. Durch Recycling, geringen Energieverbrauch und einer teilweisen autarken Lebensweise soll diese erzielt werden. Dabei geht es Finger (vgl. Interview WohnLebensGemeinschaft Anschau Hof 17.12.2021) um einen „bewussten Konsum. Verzicht ist ein Ansatzpunkt, oder möglichst weitestgehend eine eigene Produktion.“ Hierbei sollen vor allem die Ressourcen, welche sich im ländlichen Raum finden, genutzt werden.

 

Es kann damit allgemein ausgemacht werden, dass dieses Projekt weit mehr als ein reines Wohnprojekt ist. Dieses Projekt spricht eine spezielle Lebensform an, welche nicht an marktwirtschaftliche Gegebenheiten anknüpft, sondern die Gemeinschaft und die Natur in den Vordergrund rückt. Ebenfalls kommt es hier zu einer Verknüpfung der einzelnen Bereiche, welche innerhalb dieses Projektes untersucht werden. So versorgen sich die Menschen innerhalb dieses Projektes selbst (Versorgung) und tragen mi ihrer Arbeit zur Erhaltung des Projektes bei (Arbeit). Essenziell bei diesem Projekt ist zudem das enorme Engagement des Initiators Rüdiger Finger, welcher das Projekt geplant, finanziert und umgesetzt hat und nun selber ein Teil dieser Gemeinschaft ist.

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Z.WO eG Wohnprojekt Mainz - städtisches Fallbeispiel

Als städtische Initiative wird nun die Z.WO eG Mainz und deren geplantes Wohnprojekt in den Blick genommen. Es zielt ebenfalls auf strukturelle Veränderungen im Bereich Wohnen ab und umfasst mehr als die bloße Bereitstellung von Wohnraum. Derzeit beteiligen sich 86 Genoss:innen.

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Die Initiative Z.WO eG ist eine Genossenschaft, die sich für bezahlbaren Wohnraum in der Stadt einsetzt. Ziel der Initiative ist es,

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„Wohnraum in der Stadt bereitzustellen für Menschen,

die in der Stadt gerne wohnen wollen, aber nicht an diesem

Mietpreiswucher mitspielen wollen.“ (vgl. Interview Z.WO eG)

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Vor allem im Kontext der ansteigenden Mieten in deutschen Städten stellt dies ein wichtiges Ziel der Initiative dar. In Mainz bspw. stiegen die Mieten über die Jahre hinweg an. 2013 betrug der durchschnittliche Kaltmietpreis pro Quadratmeter noch 9,57€. 2022 hingegen stieg dieser bis auf 12,48€ an (vgl. Zarenga GmbH 2022, o.S.).

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In diesem Zusammenhang wurde als erster Schritt bereits ein Konzept zur partizipativen Quartiersentwicklung in Mainz-Kastel erarbeitet. Denn das genossenschaftliche Wohnprojekt im Mainzer Heiligkreuzviertel soll räumlich eingebettet sein. Daher will die Initiative auch die Gestaltung der Flächen übernehmen. Eigens hierfür wurde der Quartiersverein „einViertel“ gegründet, mit dem die Entwicklung des Bauprojektes unterstützt werden soll. Das Wohnprojekt im Heiligkreuzviertel befindet sich derzeit noch im Rohbau, soll jedoch in naher Zukunft fertiggestellt sein (vgl. Z.WO eG 2022, o.S.). Das Projekt soll als Startpunkt für weitere Projekte fungieren und nicht als „singuläres Projekt“ (vgl. Interview Z.WO eG 26.11.2021) angesehen werden.

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Getragen und finanziert wird das Wohnprojekt von der Genossenschaft. Bei der Finanzierung stützt sich das Projekt auf mehrere Standbeine. Hierzu zählen die Einlagen der eigentlichen Bewohner:innen des Projektes, ein Kredit der Volksbank (welcher durch die soziale und ökologische Ausrichtung des Projektes staatlich gefördert wird) und freiwillige Beiträge Einzelner (vgl. Interview Z.WO eG 26.11.2021). Bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Ausrichtung des Projektes ist eine starke Abwendung von den derzeitigen Wirtschaftsparadigmen zu erkennen. So zeigt die Strukturierung des Projektes in Form einer Genossenschaft dies auf. Wie Voss (2015, S.11 ff.) aufzeigt, stellen Genossenschaften in Form von solidarischen Ökonomien anstelle der Profitlogik des Neoliberalismus andere Werte, wie z.B. Demokratie, Solidarität, Kooperation und den Menschen selbst, in den Vordergrund. Auch die Aussagen Pascoes (vgl. Interview Z.WO eG 26.11.2021) bekräftigen diese Abwendung von derzeitigen Wirtschaftsstrukturen. Nach ihm „wird [nur] ein minimaler Gewinn zu erwirtschaften sein“. Dieser wird jedoch der Genossenschaft und dem Wohnprojekt an sich wieder zu Gute kommen, da der Gewinn als Rücklagen fungieren sollen.

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Bei Betrachtung der sozialen Ausrichtung des Projektes stehen vor allem der Mensch an sich, die Interaktionen derer untereinander und die demokratische Mitbestimmung im Vordergrund. Davon zeugt auch die Einrichtung verschiedenster Gemeinschaftszimmer und -terrasse, welche als Orte der Begegnung bzw. der sozialen Interaktion ausgestaltet werden sollen. Zudem werden weitere Elemente, wie z.B. Laubgänge oder Sitzmöglichkeiten vor dem Gebäude, mit integriert, um soziale Kontakte zu fördern und dem Problem der Vereinsamung entgegenzuwirken. Des Weiteren soll den Bewohner:innen durch dieses Projekt bezahlbarer Wohnraum für die nächsten Jahre und Jahrzehnte bereitgestellt werden (vgl. Interview Z.WO eG 26.11.2021). Hierbei gibt es keine vorab festgelegte Zielgruppe, welche mit dem Projekt angesprochen werden soll. Dadurch soll eine homogene Gruppenbildung vermieden werden. Auch möchte das Projekt bestimmte Vorteile für das Stadtviertel Heiligkreuz an sich bieten. So soll ein Kaffee sowie eine Fahrrad- bzw. Car-Sharing-Station im Gebäude eingerichtet werden (vgl. Interview Z.WO eG 26.11.2021). Beides soll in Eigenregie durch die Bewohner:innen des Gebäudes durchgeführt werden. Inwieweit diese Vorhaben in die Realität umgesetzt werden, bleibt jedoch abzuwarten.

 

Weiter versucht das Projekt ökologische Gesichtspunkte mit einzubinden. So ist eine Zisterne zur Regenwassersammlung, Solarpanels zur Stromerzeugung und eine bestmöglich vollständige Fassadenbegrünung im Projekt vorgesehen. Hiermit soll eine gewisse Unabhängigkeit entstehen. Jedoch kann angezweifelt werden, dass sowohl Zisterne als auch die Solarpanels genügend Wasser als auch Elektrizität für alle Bewohner:innen liefert (vgl. Interview Z.WO eG 26.11.2021).

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Es konnte damit ermittelt werden, dass das Projekt der Z.WO eG im Mainzer Heiligkreuzviertel eine Abwendung von den derzeitigen Wirtschaftsparadigmen aufweist. Das Projekt kennzeichnet sich vor allem durch seine starke soziale Ausrichtung aus.

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Alternatives Wohnen in der Stadt und auf dem Land

Allgemein kann festgehalten werden, dass es im städtischen Raum deutlich mehr Akteure des Wandels im Bereich Wohnen als im ländlichen Raum gibt. So gibt es in Rheinland-Pfalz allgemein zehn Initiativen im städtischen und drei im ländlichen Raum (vgl. Tab.1). In der Literatur wird oft die erhöhte Offenheit der Menschen im städtischen Raum für diesen Umstand angeführt. Diese Begründung wird durch Maier et al. (2021, S.25) jedoch widerlegt. Die Studie der Autor:innen zeigt auf, dass es keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Offenheit gegenüber alternativen Wohnformen zwischen in städtischen und ländlichen Räumen lebenden Menschen gibt. Daher müssen andere Gründe hierfür beleuchtet werden.

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Zum einen kann die ungleiche Bevölkerungsdichte zwischen diesen Räumen herangezogen werden. Im rheinland-pfälzischen städtischen Raum leben deutlich mehr Menschen als im ländlichen Raum. Dadurch wird in diesem Bereich – im Gegensatz zum ländlichen Raum – auch deutlich mehr Wohnraum bei gleichzeitig geringerer vorhandener Fläche benötigt. Ein weiterer Grund ist hier ebenfalls, dass im ländlichen Raum wesentlich mehr Menschen im Eigentum leben und urbane Gebiete üblicher Weise klasse Mietwohnungsmärkte sind. Vogelgesang et al. (2018, S.31) zeigen auf, dass in städtischen Räumen 76,5% der Bewohner:innen in Mietswohnungen leben und die Eigentumsquote nur bei 22% liegt. In ländlichen Räumen hingegen liegt nach den Autoren die Eigentumsquote bei über 70%.

 

Hier setzten alternative Wohnprojekte als Problemlöser an. Die verschiedenen Projekte fokussieren sich auf eine effiziente Raum- bzw. Flächennutzung, wodurch Fläche gespart bzw. mehr Menschen pro Fläche leben können (vgl. Z.WO eG). Ebenfalls sind durch die erhöhte Anzahl an Bevölkerung im städtischen Raum mehr Treiber und damit Ideen für transformative Projekte vorhanden. Diese sind zudem durch die geographische Nähe in Städten eng mit anderen wichtigen Akteuren für die Umsetzung solcher Projekte („Treiber/Idee“, „Planer“, „Finanzier“, „Teilnehmer“) verbunden. Dies führt ebenfalls zu dem Punkt, dass mehr solcher Projekte realisiert werden.

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Ein weiterer Unterschied zwischen den städtischen und ländlichen Akteuren des Wandels im Bereich Wohnen liegt innerhalb der sozialen Ausrichtung der Projekte vor. Bei ländlichen Projekten werden meist Elemente mitetabliert, welche zur allgemeinen Daseinsvorsorge der Gesellschaft beitragen.

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Bspw. sind im Projekt der Lebensgemeinschaft in Anschau eine Gastwirtschaft, ein Hofladen und die Bereitstellung von Räumlichkeiten für bestimmte Tätigkeiten (Seminare, Lesungen) integriert. Auch in Reichenbachs et al. (2015, S.29) Analyse des multiplen Hauses im ländlichen Raum ist dies zu erkennen. Im städtischen Raum gehen die betrachteten Akteure ebenfalls über den Wohnsektor hinaus und bieten bspw. Fahrrad- oder Carsharing-Angebote an (vgl. Bsp. Z.WO eG Wohnprojekt Mainz). Dennoch ist der Wirkbereich im städtischen Raum etwas enger gefasst (vgl. Schönbock 2018, S.61). Denn im städtischen Raum ist die grundlegende Daseinsvorsorge ausreichend vorhanden (vgl. Milbert/Furkert 2020, S.32 f.).

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Innerhalb der ökologischen und wirtschaftlichen Ausrichtung der Projekte wurden keine Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten hinsichtlich deren räumlichen Verortung ausgemacht. Hier unterscheiden sich alle Projekte je nach deren Umsetzung, der beteiligten Personen und deren Ideen und Ziele voneinander.

 

Allgemein haben die Stadt-Land-Unterschiede in Rheinland-Pfalz grundlegend keinen großen Einfluss auf die Planung, die Umsetzung und den Erfolg von alternativen Wohnprojekten. Hier spielen andere Faktoren, wie bspw. das Engagement einzelner Personen bzw. Personengruppen, eine deutlich größere Rolle.

 

Fazit

Die im Rahmen des Lehrforschungsprojektes durchgeführte Recherche wies deutlich mehr alternative Wohnprojekte im städtischen Raum nach. Zu begründen ist dies zum einen damit, dass im städtischen Raum mehr Treiber alternativer Ideen vorhanden sind und zum anderen damit, dass die Mietpreis- und Flächenproblematik innerhalb von Städten sehr viel größer ist als im ländlichen Raum. Auch unterscheiden sich städtische und ländliche Projekte in deren gesellschaftlicher Einbettung. Häufig übernehmen Projekte im ländlichen Raum weitere Aufgaben der grundlegenden Daseinsvorsorge. Städtische Projekte sind oft spezifischer auf einzelne Transformationsfelder ausgerichtet. Hinsichtlich anderer Faktoren konnten keine weiteren Unterschiede festgestellt werden.

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Gemeinsam ist den porträtierten Projekten, dass sie sich der vorherrschenden Norm im Wohnsektor entgegenstellen. Es geht ihnen darum, den verfügbaren Raum bestmöglich zu nutzen und dabei das Wohlergehen der Gemeinschaft im Blick zu haben. Verdeutlich wird dies in den beiden Fallstudien daran, dass sehr viele und große Gemeinschaftsflächen in Form von Gärten, Küchen, Terrassen und weiteren Räumen geschaffen werden. In den alternativen Wohnprojekten steht nicht das einzelne Individuum an erster Stelle, sondern die Gemeinschaft an sich.

 

Literatur

Maier, J./ Harles, L./ Heimisch-Röcker, A./ Kaiser, S./ Schraudner, M. (2021): Stadt.Land.Chancen. Wünsche und Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern in Stadt und Land. Ergebnisse der Onlinebefragung. München.

 

Milbert, A./ Furkert, M. (2020): Überversorgte Städte, unterversorgtes Land?. Regionale             Selektionsprozesse im Bereich der Daseinsvorsorge. - In: Politikum. Analysen, Kontroversen, Bildung, 6, 3, S.26-33.

 

Reichenbach-Behnisch, J./ Flämig, A./ Kasek, J./ Kröckel, J./ Freund, E. (2012): Aktivieren des Stadtzentrums von Kleinstädten durch die verknüpfte Anwendung erfolgreicher Modelle aus Großstädten und ländlichen Regionen wie innovatives Leerstandsmanagement, installieren multipler Häuser und Förderung alternativer Wohnformen für die Generation Plus. Frauenhofer IRB Verlag, Stuttgart.

 

Schönbock, L. (2018): Wohnkollektiv. Ein Entwurf für gemeinschaftliches Wohnen im urbanen Raum. Wien.

 

Vogelgesang, W./ Kopp, J./ Jacob, R./ Hahn, A. (2018): Stadt – Land – Fluss. Sozialer Wandel im regionalen Kontext. Springer VS, Trier.

 

Zarenga GmbH (2022): Mietspiegel Mainz. - URL: https://mietspiegeltabelle.de/mietspiegel-mainz/ [23.06.2022].

 

Z.WO eG (2022): Quartiersverein. EinViertel. Ein Verein für das Heiligkreuzviertel. - URL: https://z-wo.de/quartiersverein/ [11.01.2022].

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Geänderte Tabelle LFP[12846].PNG
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