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Theorie: Willkommen

Raumbezug alternativen Wirtschaftens in der Mobilität

Autor: Christopher Sauer

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Mobilität in der Stadt und auf dem Land – was heißt das eigentlich?

Viele würden bei der Frage, wie sie denn in ihrem Alltag mobil sind, wohl an erster Stelle das eigene Auto nennen. Das wäre auch kein besonders überraschendes Ergebnis, da gerade in Rheinland-Pfalz, das in weiten Teilen sehr von ländlichen Regionen geprägt ist, der PKW für viele zum Alltag gehört. Für den Weg zur Arbeit, zum Supermarkt oder für den Besuch von Freunden im Nachbarort scheint es nur selten eine komfortable und sinnvoll erscheinende Alternative zu geben. Bus und Bahn? Oftmals im Vergleich zum PKW nicht günstig genug, zu unflexibel oder nur selten wirklich gut erreichbar. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad? Bei längeren Strecken zu unkomfortabel oder zu zeitintensiv.

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Was bleibt? Fahrgemeinschaften, Mitnahmeverkehre und Carsharing sind stellenweise noch eine Option. Diese Umstände zeigen sich auch an der PKW-Dichte in Rheinland-Pfalz, die sich in den verschiedenen Regionen des Bundeslandes sehr stark unterscheidet (vgl. Abbildung 1). So liegt diese beispielsweise in der Landeshauptstadt Mainz, in Koblenz oder Trier bei weniger als 600 Fahrzeugen je 1.000 Einwohnern, während sehr peripher geprägte Räume wie die Kreise Südwestpfalz, Ahrweiler oder Teile des Rhein-Hunsrück-Kreises stellenweise mehr als 700 Fahrzeuge je 1.000 Einwohnern aufweisen (vgl. Statistisches Landesamt RLP 2021, 866).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb.1: PKW-Dichte in Rheinland-Pfalz 2021 nach Verbandsgemeinden

(Statistisches Landesamt RLP 2021)

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Und wie sieht es in der Stadt aus? Volle Straßen, lange Parkplatzsuchen, Konkurrenz um Flächen und Verkehrsrechte zwischen Radfahrern, Fußgängern und dem PKW-Verkehr, hohe Lärm- und Schadstoffbelastungen, versiegelte Flächen und nur wenig begrünter Lebensraum, etwa für Freizeitaktivitäten, Spaziergänge oder zur Erholung. Obwohl es ein größtenteils bereits vorhandenes Angebot an Alternativen zum privaten PKW, wie gut erreichbare Bus- und Bahnverkehre gibt, wird das eigene Auto auch hier trotz vor allem wirtschaftlicher Nachteile übermäßig genutzt (vgl. Barenberg 2018; Reek 2020; Weber 2020).

 

Die Rahmenbedingungen für Veränderungen im Mobilitätssektor zwischen Stadt und Land könnten also nicht unterschiedlicher ausfallen. Doch ist beiden Siedlungskategorien gemein, dass nur selten die Frage danach gestellt wird, wie verhältnismäßig der Einsatz des eigenen Fahrzeugs im Alltag sowohl ökologisch als auch finanziell tatsächlich ist. Für eine erfolgreiche Verkehrs- und Mobilitätswende müssen beide Ebenen, das Angebot an Alternativen und die Nachfrageseite (Gewohnheiten innerhalb der Bevölkerung), neu gedacht und völlig anders angegangen werden.

 

Entsprechend dem Ziel des Projektes, alternative Praktiken in Rheinland-Pfalz kenntlich zu machen und transformative Akteure zu identifizieren und zu verorten, soll es im folgenden thematischen Schwerpunkt um die kritische Diskussion dieser transformativen Ansätze im Mobilitätssektor in Rheinland-Pfalz anhand der raumbezogenen Faktoren städtisch-ländlicher Unterschiede gehen.

 

Hierfür werden in einem ersten Schritt Akteure des Wandels identifiziert und verortet, bevor eine Detailbetrachtung der Problematik anhand ausgewählter Indikatoren vorgenommen und ein Best-Practice-Beispiel näher untersucht wird. Auch mit Blick auf Aspekte der Daseinsvorsorge sollen schließlich zentrale Perspektiven und Implikationen für zukünftige Lösungen näher erläutert werden.

 

Verortung alternativer Mobilitätsprojekte

Anhand der vom rheinland-pfälzischen Innenministerium festgelegten Raumkategorien werden die nach dem dargestellten Schema bewerteten Akteure des Alternativen Wirtschaftens im Mobilitätssektor nun genauer verortet.

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In Rheinland-Pfalz wurden sechs Initiativen innerhalb des Mobilitätssektors identifiziert, die eindeutig dem Begriff des Alternativen Wirtschaftens zugeordnet werden können. Dies sind die folgenden Initiativen und Projekte:

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Tab.1: Akteure des Alternativen Wirtschaftens im Mobilitätssektor in definierten Raumkategorien

(eigene Darstellung)

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Neben diesen Akteuren des Wandels finden sich in Rheinland-Pfalz jedoch noch weitere Initiativen, die ebenfalls Charakteristika einer Orientierung an den Leitbildern der Verkehrs- und Mobilitätswende sowie der Green Economy aufweisen, auch wenn ihr Transformationspotenzial geringer ist. Dazu zählen folgende Initiativen und Projekte:

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Tab.2: Akteure der Green Economy im Mobilitätssektor in definierten Raumkategorien

(eigene Darstellung)

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Zur Veranschaulichung verortet die Landkarte der Transformation die aufgelisteten Akteure.

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Interpretation der Darstellung

Wie lässt sich diese Verteilung der Initiativen mit Fokus auf alternativen Praktiken im Mobilitätssektor sowie Nachhaltigkeitsaspekten interpretieren? Erstens zeigt sich, dass die bewerteten Akteure in beiden Fällen fast ausschließlich im städtischen Umfeld zu verorten sind. Das kommunale Carsharing-Projekt Unser Elektro-Dorfauto (vgl. Kunz et al. 2020) im ländlich geprägten Rhein-Hunsrück-Kreis bildet hierbei die einzige Ausnahme.

 

Zweitens konzentriert sich die Mehrheit der Projekte auf das geographisch östliche Rheinland-Pfalz. Insbesondere Mainz als Landeshauptstadt und größte städtische Agglomeration im Bundesland ist hier stark überrepräsentiert, während die eher westlichen Teile von Rheinland-Pfalz (etwa Eifel, Moseltal, Hunsrück) nahezu nicht vertreten sind. Hier sind eindeutige Korrelationen mit der Siedlungsdichte und der Wirtschaftskraft festzustellen.

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Drittens ist die absolute Zahl an bewerteten Initiativen eher gering. Im Rahmen des Forschungs- und Bewertungsprozesses wurden Interessensvertretungen wie Rad- und Verkehrsverbände, (inter-)national operierende Aktionen oder Mobilitätsdienstleister mit lokalen Niederlassungen innerhalb von Rheinland-Pfalz sowie klassische Verleihsysteme bewusst nicht als Pioniere des Wandels im engeren Sinne oder Initiativen mit weiterreichenden Nachhaltigkeitsansätzen aufgenommen, da hier das Transformationspotenzial tendenziell nur sehr gering ausfällt.

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Folglich ist anzunehmen, dass der Mobilitätsbereich, wie festgestellt, ein Sektor mit besonders hohem Handlungsbedarf und ohne eine Verkehrs- und Mobilitätswende die Vollendung der Energiewende nicht möglich ist (vgl. Hochfeld et al. 2017, 7ff.). Durch die überwiegend ländliche Prägung des Bundeslandes mit hoher Abhängigkeit vom Individualverkehr fällt der Transformationsbedarf in Rheinland-Pfalz entsprechend noch höher aus.

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Bedeutend ist neben der ökologischen Verträglichkeit jedoch auch die wirtschaftliche und finanzielle Verhältnismäßigkeit von Projekten und Maßnahmen. So liegt der Fokus vor allem von privatwirtschaftlichen Akteuren zumindest langfristig auch darauf, wie lukrativ ein Vorhaben in finanzieller Hinsicht sein kann. Eine dünne Siedlungsstruktur und damit potenziell auch nur eine kleine Zielgruppe machen ländliche Regionen für etwa E-Carsharing-Fahrzeuge und daran anschließende privatwirtschaftliche Investitionen zu keinem attraktiven Standort. Auch aus diesem Grund findet sich die Mehrzahl gewinnorientierter Projekte in Agglomerationsräumen. Umso mehr sind daher auch staatlich initiierte Vorhaben und nicht-gewinn-orientierte Akteure (unter anderem ehrenamtlich gestützte Projekte oder Vereine) wichtige Faktoren, wenn es um die Transformation innerhalb der Mobilität in ländlichen Regionen geht (vgl. Pitz et al. 2017, 233ff.).

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Detailbetrachtung der Stadt-Land-Disparitäten

Doch wie lassen sich diese festgestellten Disparitäten, insbesondere zwischen städtischen und ländlichen Regionen begründen? Zunächst zeigt auch der Modal Split (Mobilitätsverhalten gemessen am Verkehrsaufkommen nach Verkehrsmitteln), dass sich die Art der Fortbewegung in beiden Raumkategorien stark voneinander unterscheidet. Die folgende Abbildung aus dem MiD 2017 (vgl. Nobis et al. 2019, 53f.) zeigt eindeutig, dass im städtischen Umfeld der Umweltverbund stark dominiert – bei niedrigen Distanzen in Form des Fuß- und Radverkehrs, bei höheren Distanzen tendenzell eher durch den Bus- und Bahnverkehr. Mit zunehmender Distanz steigt hier aber auch der Anteil der Personen, die den privaten PKW zur Raumüberwindung nutzen. Im ländlichen bis eher kleinstädtischen Kontext ist der PKW-Anteil selbst auf sehr kurzen Distanzen hoch. Dieser stellt in den höheren Distanzklassen sogar die deutliche Mehrheit am Verkehrsaufkommen.

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Insbesondere der ÖPNV spielt hier mit niedrigen einstelligen Anteilen nur kaum eine Rolle, während auch die Möglichkeiten des Fuß- und Radverkehrs durch tendenziell höhere Distanzen zwischen Zielorten und eine dünne Besiedlungsstruktur nur sehr begrenzt ausfallen (vgl. Abbildung 2).

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Abb.2: Modal Split des Verkehrsaufkommens in Metropolen und ländlichen Regionen

in niedrigen Distanzklassen laut dem MiD 2017 (Nobis et al. 2019, 53f. | Grafik leicht verändert)

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Weiterhin ist auch der Anteil der Haushalte, die im Besitz eines privaten PKWs sind, ein wichtiger Indikator. Aus der MiD-Erhebung 2017 (vgl. Kuhnimhof/Nobis 2018) wurde deutlich, dass Haushalte in städtischen Regionen deutlich öfter keinen PKW besitzen, als Haushalte in ländlichen Räumen. Dennoch besitzt die Mehrheit in allen Raumkategorien mindestens ein Auto, im nicht-großstädtischen Kontext sind es hierbei sogar oftmals zwei Fahrzeuge (vgl. Abbildung 3). Dies deutet ebenfalls auf die jeweiligen Rahmenbedingungen vor Ort hin. Während in ländlichen Kommunen der private PKW im Großteil der Fälle eine absolute Notwendigkeit darstellt, machen verkehrstechnische Umstände in Städten (Angebot an ausgebauten ÖPNV-Alternativen höher, geringere Attraktivität für den Individualverkehr) ein eigenes Fahrzeug öfter nicht zur essenziellen Voraussetzung zur Bewältigung des Alltags.

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Abb.3: PKW-Besitz von Haushalten nach Raumkategorie laut der Erhebung MiD 2017

(Kuhnimhof/Nobis 2018, 35 | Grafik leicht verändert)

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Auch die Zufriedenheit mit den verschiedenen Verkehrsträgern aus derselben Erhebung (vgl. Kuhnimhof/Nobis 2018, 129f.) macht deutlich, dass das Angebot des ÖPNV im städtischen Umfeld vergleichsweise gut abschneidet, umgekehrt der PKW-Verkehr durch die gesellschaftlich-infrastrukturellen Probleme (etwa Flächenkonkurrenz und -knappheit, hohe Parkraumgebühren, hohes Verkehrsaufkommen und häufiges Aufkommen von Staus) deutlich weniger zufriedene Verkehrsteilnehmer reproduziert als in eher ländlichen Räumen.

 

Schlussfolgernd lässt sich somit sagen, dass die Potenziale zu einer Mobilitätswende, die im Wesentlichen den Ausbau des ÖPNV und den Umstieg auf nachhaltigere Verkehrsmittel und Antriebe umfassen, im städtischen Kontext deutlich größer ausfallen. Eine Abkehr vom vornehmlich autozentrierten Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ist durch mangelnde Alternativen zum PKW in ländlichen Regionen hingegen eher nicht zu erwarten. Insbesondere in der Corona-Pandemie wurde jedoch deutlich, dass etwa mit einem Wandel in der Arbeitswelt (regelmäßiges Home-Office und erwerbsbedingte Nutzung digitaler Technologien zur Entkopplung von Raumabhängigkeiten) stellenweise große Einsparpotenziale vorhanden sind. Insbesondere durch motorisierte Fahrzeuge zurückgelegte, kürzere Wegestrecken, auch in eher ländlichen Regionen, sollten zudem öfter durch nachhaltigere, nutzerfreundliche und komfortable Mobilitätsalternativen (wie E-Bikes, Bus und Bahn) substituiert werden.

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Unser "Elektro-Dorfauto" Projekt als das Best-Practice für den ländlichen Raum?

Einer der Akteure des Wandels in Rheinland-Pfalz ist das dreijährige Carsharing-Pilotprojekt im ländlich-peripher gelegenen Rhein-Hunsrück-Kreis (vgl. Abbildung 4). Im Jahr 2019 durch den Landkreis als öffentlicher Träger des Projektes initiiert, wurden mehrere Zielsetzungen verfolgt. Erstens sollten die beiden Ansätze Carsharing und Elektromobilität miteinander verbunden und der lokalen Bevölkerung anhand praktischer Erfahrungen nahegebracht werden, um das Bewusstsein und die Akzeptanz für neue Fortbewegungsoptionen zu schaffen.

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Weiterhin sollte den Fahrzeugen eine Daseinsvorsorge- und Mobilitätssicherungsfunktion zukommen, um Möglichkeiten zur Abschaffung privater Zweitwägen aufzuzeigen. Schließlich lag der Fokus auch auf ökologischeren Lösungsansätzen, wonach elektrische Carsharing-Fahrzeuge den ÖPNV unterstützen und in Teilen ergänzen sollten.

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„Es war so, dass wir zwei Hemmschwellen zu überwinden hatten: Die erste ist, dass die Leute noch nie in ihrem Leben in einem E-Auto gesessen haben und nicht glaubten, dass es alltagstauglich ist. […] Die zweite Hemmschwelle ist, dass der Sharing-Gedanke in Städten längst en vogue ist, jedoch nicht auf dem Land. Vor allem für junge Leute ist das Auto kein Statussymbol mehr, sondern eine unnötige Kostenstelle. Während sich Carsharing in den Städten längst als sinnvoll in den Köpfen Jüngerer etabliert hat, ist es im ländlichen Raum bisher unvorstellbar, sich mit der Nachbarschaft ein Auto zu teilen. Das war der Ansatz, die Autos kostenlos in die Orte zu stellen, um diese Hemmschwellen zu überwinden.“ (Frank-Michael Uhle, 2020)

 

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Gestartet wurde das Projekt im Dezember 2019 in acht Ortsgemeinden mit jeweils einem Fahrzeug. Nach einem Jahr Laufzeit wurden die Standorte im Dezember 2020 in acht weitere Ortsgemeinden verlegt. Im Dezember 2021 schließlich wechselten die Standorte der acht Fahrzeuge in nochmals acht andere Ortsgemeinden innerhalb des Rhein-Hunsrück-Kreises.

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Abb.4: Titelbild der E-Carsharing-Initiative des Rhein-Hunsrück-Kreises

(Kunz et al. 2020, 1)

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Während der jeweils einjährigen Standortphase hatte die ansässige Bevölkerung die Möglichkeit, eine Nutzerregistrierung vorzunehmen und das Elektrofahrzeug (Modell Renault Kangoo Maxi Z.E.) kostenfrei über eine Online-Software für eine Nutzung zu buchen. Die nutzende Person musste hierfür keine Gebühren zahlen. Die Finanzierung der Fahrzeuge mitsamt Versicherung und Ladeinfrastruktur geschah dabei über finanzielle Mittel des Rhein-Hunsrück-Kreises sowie teilweise der teilnehmenden Verbands- oder Ortsgemeinden.

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Aus der bisher rund zweijährigen Projektphase sieht der Rhein-Hunsrück-Kreis das Vorhaben schlussfolgernd als erfolgreich realisiertes Projekt an, das von der Bevölkerung vor Ort aber auch medial stark nachgefragt werde. Dies zeige sich an den hohen Nutzer- und Buchungszahlen, aber auch an den weiteren Bestrebungen, das Projekt zu verstetigen und lokale Carsharing-Angebote im Landkreis auf Dauer sicherstellen zu wollen. Für die Fortführung des Projektes in Anschlussvorhaben wurden 2021 weitere Fördermittel des Landkreises bewilligt (vgl. Billanitsch 2021; Energieagentur RLP 2021; Kunz et al. 2020).

 

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„Es ist das Wesen einer Klimaschutzmaßnahme,

dass man Nadelstiche setzt. Man möchte Leute sensibilisieren,

Ideen anregen und ist froh, wenn die in vielen Köpfen weiterleben.

Es ist nicht der Sinn davon, dass das dauerhaft vom

Landkreis finanziert wird.“ (Frank-Michael Uhle, 2020)

 

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Wie sehr langfristig Projekte wie das Elektro-Dorfauto im Rhein-Hunsrück-Kreis auch einen Mobilitätswandel im ländlichen Raum induzieren können, bleibt abzuwarten. Dennoch lässt sich aus diesem Pilotvorhaben bereits schlussfolgern, wie transformative Ansätze im Mobilitätssektor gestaltet sein und welche Entwicklungen unterstützt werden können. Demgegenüber sollte die Relevanz finanzieller Aspekte auch hier nicht ausgeblendet werden.

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Abb.5: Energie-Kommune des Jahres (Eigene Aufnahme)

 

Implikationen für die Mobilität als Instrument der Daseinsvorsorge 

Abschließend soll vor dem Hintergrund der aufgestellten Forschungsfragen noch andiskutiert werden, welche Rolle Mobilität im gesellschaftlichen Kontext mit Bezug zur Daseinsvorsorge einnimmt. Wie bereits bei der Darstellung der Thematik von Stadt-Land-Disparitäten angedeutet, unterscheiden sich die Herausforderungen ländlicher Räume deutlich von denen in städtischen Agglomerationen.

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So haben periphere Regionen oftmals mit Abwanderungs- und Überalterungstendenzen zu kämpfen, die einerseits durch fortschreitende Urbanisierung und ihre Folgewirkungen begründet sind, andererseits aber auch durch gesellschaftliche Entwicklungen wie etwa einem angepassten generativen Verhalten, späteren Berufseinstieg, einer anderen Rolle von Familie und persönlichen Beziehungen, die unter anderem einen umfassenden demographischen Wandel zur Folge haben („Weniger, Grauer, Vereinzelter, Bunter“ (Gans 2018, 376)). Durch die allmähliche Entsiedlung von ländlichen Räumen ergeben sich auf Dauer Tragfähigkeitsprobleme für zahlreiche Einrichtungen wie etwa Nahversorger oder Anbieter von Dienstleistungen, da ein wirtschaftlicher Betrieb nur bei entsprechender Nachfrage und Auslastung gewährleistet werden kann.

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Insbesondere bei privatwirtschaftlich agierenden Akteuren ist also davon auszugehen, dass dauerhaft ein Rückzug aus der Fläche stattfindet, der das Problem einer mangelnden Gewährleistung von Daseinsgrundfunktionen und zunehmender Entfernungen zu Zielorten des alltäglichen Lebens, vor allem in peripheren Regionen, noch weiter verschärfen könnte (vgl. Brenck et al. 2016, 17ff.; Reich 2012, 61ff.).

 

Welche Rolle kommt der Mobilität also in ländlichen Räumen in Bezug zu einer Funktion der Daseinsvorsorge zu? Die Mobilität der Bevölkerung beeinflusst die Stabilität der Räume in mehrfacher Hinsicht: ökonomisch, sozial und auch ökologisch. Mobilität ist ein wichtiger Standortfaktor für etwa privatwirtschaftliche Unternehmen, da hiermit Erreichbarkeit und Flexibilität sichergestellt werden können. Gut ausgebaute Infrastrukturen und Mobilitätsangebote ermöglichen potenziell die Förderung regionaler Wirtschaft, indem etwa Absatzmärkte und Arbeitsplätze deutlich schneller und unkomplizierter erreicht werden können.

In sozialer Hinsicht sind Abwanderung und Überalterung, wie bereits angesprochen, zentrale Herausforderungen ländlicher Räume.

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Mobilität kann hier eine Schlüsselrolle zur Eindämmung zentraler Abwanderungsgründe einnehmen, indem in etwa einer Unterversorgung mit Einrichtungen zur Befriedigung von Grunddaseinsbedürfnissen entgegengewirkt und demgemäß nicht mehr tragfähige stationäre Angebote durch mobile Einrichtungen (Rufbusse, Kombibusse, mobiler Lebensmittelverkauf) ergänzt oder ersetzt werden könnten. Zentraler Anreiz sollte dabei der Erhalt oder die Verbesserung der Lebensqualität sein und die Erreichbarkeit der Bevölkerung sicherzustellen. Auch in ökologischer Hinsicht können neue Mobilitätsangebote zu einer Stabilisierung beitragen. Obwohl die Folgen einer lange autozentrierten und autogerechten Planung vor allem im städtischen Kontext zu spüren sind, sollten neue Ansätze der Fortbewegung auch in ländlichen Räumen nicht aus dem Blickfeld geraten, sondern sogar aktiv unterstützt werden (vgl. Riesner 2014, 42ff.).

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Abb.6: Darstellung raumrelevante Herausforderungen ländlicher Regionen und Ansatzpunkte

(eigene Darstellung nach Brenck et al. 2016, 8ff.; Riesner 2014, 43ff.)

 

Zur Lösung der aufgezeigten Problematiken und Herausforderungen in ländlichen Räumen muss eine lokale oder regionale Bedarfsorientierung stattfinden. Das heißt, abhängig von den gegebenen Mobilitätsoptionen vor Ort muss evaluiert werden, mithilfe welcher Instrumente und Mobilitätsergänzungen eine Verbesserung der Erreichbarkeit und letztlich auch der Daseins-vorsorge erreicht werden kann. Bereits bekannte Optionen sind etwa flexible Bedienformen wie Ruf- oder Bürgerbusse, multifunktionale Bedienformen, die Personen- und Güterverkehr miteinander kombinieren, Sharing-Modelle und Mitfahrgelegenheiten wie Car- und Bikesharing oder multi- und intermodale Mobilitätsmuster (vgl. Abbildung 5) (vgl. Brenck et al. 2016, 8ff.; Riesner 2014, 43ff.). Wichtig ist jedoch, dass diese Optionen grundsätzlich auch genauso im städtischen Raum denkbar sind. Hier steht die Frage, wie Daseinsvorsorge erhalten werden soll, durch existierende Mobilitätsoptionen jedoch oft weniger stark im Fokus.

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Fazit und Ausblick

Die Untersuchung zeigt, dass abseits des Elektro-Dorfauto-Projektes im Rhein-Hunsrück-Kreis alle beurteilten Akteure im Mobilitätssektor im städtischen Kontext operieren. Wie bereits ausführlicher dargestellt, stellen sich gerade in Rheinland-Pfalz als über weite Teile sehr ländlich geprägtes Bundesland jedoch oftmals Fragen danach, inwiefern die Mobilitätswende tatsächlich auch in peripheren Räumen eine Umsetzung finden kann. So beschreibt bereits der ADAC (2016a, 20ff.; 2016b, 10ff.) differenzierte Handlungsempfehlungen und Maßnahmen für städtische und ländliche Regionen.

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Auch vor dem Hintergrund der staatlichen Verpflichtung zu einer Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen räumlichen Kontexten (vgl. BMI 2019) und der Sicherstellung infrastrukturell-gesellschaftlicher Daseinsvorsorge bedarf es einerseits Maßnahmen durch die öffentliche Hand, die lokale Initiativen finanziell und ideell unterstützen, gleichzeitig aber auch aktiv selbst Projekte und Vorhaben initiieren. In dünn besiedelten Regionen ist eine Erschließung durch Mobilitätsangebote von privatwirtschaftlichen Akteuren auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Vielmehr spielen hier öffentlich-rechtliche Institutionen und ehrenamtliche Tätigkeiten eine bedeutende Rolle, die jedoch auch im städtischen Kontext keinesfalls übersehen werden sollten. Andererseits bedarf es neben Fortschritten auf der Angebotsseite weiterhin eines grundsätzlichen, gesamtgesellschaftlichen Umdenkens.

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Abseits der (häufig ländlichen) Standorte, an denen eine Notwendigkeit für den privaten PKW besteht, sollte Fortbewegung primär über nachhaltigere (und günstigere) Verkehrsmittel wie Bus und Bahn, das Rad oder zu Fuß stattfinden. 

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Im Mobilitätssektor beschränken sich Maßnahmen mit Bezug zur Mobilitätswende meist jedoch auf klassische Sharing-Angebote (Bike- und Carsharing) oder Verleihsysteme. Doch geht von ihnen, wie auch die sehr begrenzte Auswahl an bewerteten Akteuren zeigt, nur selten ein wirklich transformativer Gedanke aus. Abseits davon sollte die Mehrheit der genannten Angebote immer nur als eine Art Ergänzung angesehen werden, nicht jedoch als singuläre Lösungsoption. Eine umfassende Mobilitätswende muss hingegen sowohl wirtschaftlichen, ökologischen als auch sozialen Anforderungen gerecht werden, die bislang nur selten vollständig erfüllt sind.

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Literatur

ADAC (Hrsg.) (2016a): Handlungsfelder einer nachhaltigen städtischen Mobilität. München.       https://www.adac.de/-/media/pdf/vek/fachinformationen/klima--und-umweltschutz/handlungsfelder-nachhaltige-mobilitaet-adac-bro.pdf [12.01.2022].

 

ADAC (Hrsg.) (2016b): Mobilitätssicherung im ländlichen Raum. Herausforderungen,     Handlungsfelder, Empfehlungen. München.

https://www.adac.de/-/media/pdf/vek/fachinformationen/urbane-mobilitaet-und-laendlicher-verkehr/mobilitaetssicherung-laendlicher-raum-adac-bro.pdf [12.01.2022].

 

Barenberg, J. (2018): „Wir brauchen weniger Autos in der Stadt“.             https://www.deutschlandfunk.de/verkehrswende-wir-brauchen-weniger-autos-in-der-stadt- 100.html [22.03.2022].

 

Billanitsch, K. (2021): Verkehrswende auf dem Land. Elektrische „Dorfautos“ rollen im Hunsrück. https://www.demo-online.de/artikel/elektrische-dorfautos-rollen-hunsrueck [09.01.2022].

 

BMI (2019): Maßnahmen der Bundesregierung zur Umsetzung der Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“.

https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/heimat-            integration/gleichwertige-lebensverhaeltnisse/kom-gl-     massnahmen.pdf?__blob=publicationFile&v=4 [12.01.2022].

 

Brenck, A. / Gipp, C. / Nienaber (2016): Mobilität sichert Entwicklung. Herausforderungen für den ländlichen Raum. Berlin. https://www.adac.de/-/media/pdf/vek/fachinformationen/urbane-   mobilitaet-und-laendlicher-verkehr/mobilitaet-sichert-entwicklung-laendlicher-raum-adac-     studie.pdf [12.01.2022].

 

Energieagentur RLP (2021): Das Dorfauto zieht Kreise. https://www.energieagentur.rlp.de/service-info/die-energieagentur-informiert/aktuelle-meldungen/aktuelles-detail/das-dorfauto-zieht-kreise [09.01.2022].

 

Gans, P. (2018): Demografischer Wandel. – In: ARL – Akademie für Raumforschung und          Landesplanung (Hrsg.): Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung. Hannover, pp.          375-396. https://www.econstor.eu/bitstream/10419/225696/1/HWB-SRE-0375-0396.pdf    [15.02.2022].

 

Hochfeld, C. / Jung, A. / Klein-Hitpaß, A. / Maier, U. / Meyer, K. / Vorholz, F. (2017): Mit der       Verkehrswende die Mobilität von morgen sichern. 12 Thesen zur Verkehrswende. Berlin.     https://www.agora-verkehrswende.de/fileadmin/Projekte/2017/12_Thesen/Agora-Verkehrswende-12-Thesen_WEB.pdf [17.06.2022].

 

Kuhnimhof, T. / Nobis, C. (2018): Mobilität in Deutschland – MiD. Ergebnisbericht. 1. Auflage.    Bonn und Berlin. http://www.mobilitaet-in-deutschland.de/pdf/MiD2017_Ergebnisbericht.pdf          [10.01.2022].

 

Kunz, B. / Bernatzki, A. / Uhle, F.-M. (2020): Das Elektro-Dorfauto-Konzept des Rhein-Hunsrück-Kreises. https://www.kreis-sim.de/media/custom/3347_638_1.PDF?1605708950 [12.01.2022].

 

Nobis, C. / Kuhnimhof, T. / Follmer, R. / Bäumer, M. (2019): Mobilität in Deutschland –   Zeitreihenbericht 2002 – 2008 – 2017. Bonn und Berlin.                         https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/mid-zeitreihenbericht-2002-2008-    2017.pdf?__blob=publicationFile [10.01.2022].

 

Pitz, T. / Sickmann, J. / Gardian, W. / Alkas, H. / Buder, I. (2017): Mobilität im ländlichen Raum: Untersuchung der Motivation für ein ehrenamtliches Engagement in Bürgerbusvereinen.    In: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, Heft 3/2017, pp. 233-262. http://z-f-  v.de/fileadmin/archiv/hefte---2017_1_2_3/2017-3/ZfV_2017_Heft-3_05_Pitz_et_al-            Buergerbus.pdf  [17.06.2022].

 

Reek, F. (2020): Wege aus dem Verkehrschaos. Autos müssen draußen bleiben.             https://www.sueddeutsche.de/auto/wege-aus-dem-verkehrschaos-autos-muessen-draussen-       bleiben-1.4801247 [22.03.2022].

 

Reich, S. (2012): Ländliche Siedlungen auf dem Weg zur Wüstung (?). Faktoren der      Siedlungsregression in historischer und aktueller Perspektive. https://digibib.hs- nb.de/file/dbhsnb_derivate_0000001355/Masterarbeit-Reich-2012.pdf [22.03.2022].

Riesner, A. (2014): Bedeutung und Förderung von Mobilität in ländlichen Räumen.                              – In: zfv 139, H. 1, pp. 41-49. https://geodaesie.info/zfv/heftbeitrag/2810 [12.01.2022].

 

Statistisches Landesamt RLP (2021): Pkw-Dichte 2021. Statistische Monatshefte Rheinland-Pfalz, 12/2021, p. 866.     https://www.statistik.rlp.de/fileadmin/dokumente/monatshefte/2021/Dezember/202112-   Rlpkarte.pdf [22.03.2022].

 

Weber, M. (2020): #VerkehrswendeMythen1: Auch in der Stadt ist ein Leben ohne eigenes Auto nicht    möglich. https://blog.oeko.de/verkehrswendemythen1-auch-in-der-stadt-ist-ein-leben-ohne-eigenes-auto-nicht-moeglich/ [22.03.2022]

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