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Theorie: Willkommen

Rückbesinnung auf die Muße

Autor: Niklas Toresson

Ein ganz normaler Arbeits(all-)tag

Montagmorgen. Der Wecker klingelt. Aufstehen. Frühstücken. Kurz ins Bad und ab auf die Arbeit. Acht Stunden Bürojob. Gestresst nachhause. Noch einkaufen und Abendessen kochen. Endlich Freizeit! Nachrichten auf dem Handy lesen. Tickets für ein Konzert am Wochenende buchen. Fernsehen. Ins Bett gehen und schlafen.

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Dienstagmorgen. Der Wecker klingelt…

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So oder so ähnlich sieht der immer wiederkehrende Alltag von vielen Millionen Menschen weltweit aus – die wechselnde Abfolge von Arbeit und Freizeit bestimmt unser Leben. Freizeit dient hierbei oft der Kompensation von Bedürfnissen, die während der Arbeit nicht erfüllt werden können, und hat sich als Ergänzung zur Arbeitszeit gebildet (vgl. Kaplánek 2021, S. 37ff). Habermas (1958, zit. in Kaplánek 2021, S. 39) stellte schon 1958 fest, dass sich Arbeitende nicht mehr mit ihrer eigenen Arbeit identifizieren und sich deswegen in ihrer freien Zeit mit Tätigkeiten beschäftigen, die ihnen Freude bereiten. Im Zuge der Entwicklung hin zu den heute herrschenden neoliberalen Arbeitsverhältnissen hat sich dieser Entfremdungsprozess immer weiter fortgesetzt; für die meisten Menschen ist Arbeit zu einer reinen Zweckerfüllung geworden (vgl. Rosa 2012, S. 417ff), profit- und erwerbsorientiert (vgl. Brükner und Lange 2020, S. 39) und wird als belastende Fremdbestimmung wahrgenommen (vgl. Rosa 2012, S.  417ff). Als Ausgleich zu diesem primär extrinsisch motivierten Arbeitsalltag leitet sich das gegenwärtige Verständnis von Freizeit ab – Freizeit als die Zeit, in der man nicht arbeitet und in der man eigene Bedürfnisse kompensieren kann. So ist das gegenwärtige Verständnis von Freizeit geprägt von der Polarität der „Arbeits-Zeit“ zur „Frei-Zeit“. Freizeit entwickelte sich zeitgleich zu einem Synonym für Freiheit, da Freizeit einen Gegenraum zum fremdbestimmten Arbeitsalltag darstellt (vgl. Kaplánek 2021, S. 37ff). Diese Freiheit wird augenscheinlich in der massenmedialen Freizeitindustrie gefunden, welche durch Individualisierung, Multioptionalität, Erlebnis und Inszenierung sowie Konsum gekennzeichnet ist (vgl. Reuber und Schnell 2006, S.112). Dies widerspricht jedoch der eigentlich gesuchten Freiheit, nämlich der Freiheit des eigenen Selbst, der Freiheit von Pflichten und der Freiheit zur Selbstbestimmung, da „diese Selbstbestimmung etwas anderes [ist] als ein Tun und Lassen dessen, was mir Spaß macht“ (vgl. Lohmann 2005, zit. in Kaplánek 2021, S. 45).

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Diese Beobachtungen markieren den Ausgangspunkt dieses Beitrags, der sich mit einem alternativen Verständnis von Arbeit und Freizeit beschäftigen möchte. Unter der zentralen Fragestellung, inwiefern Pioniere des Wandels die oben beschriebene Polarität von Arbeit und Freizeit aufbrechen können, soll im Folgenden erörtert werden, wie und durch welche Praktiken Pioniere des Wandels Alternativen zum herrschenden Verständnis von Freizeit und Arbeit bieten können.

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Pioniere des Wandels an der Schnittstelle von Arbeit und Freizeit

Solidarische Landwirtschaftsbetriebe und urbane Gärten, die Obst und Gemüse produzieren, Repair Cafés, die alte und kaputte Geräte reparieren sowie Bike-Sharing-Anbieter, die Fahrräder zur gemeinsamen Nutzung in einer Stadt bereitstellen - in einer ersten, oberflächlichen Betrachtung stellen auch die Pioniere des Wandels klassische Arbeitsräume dar. Sie alle produzieren Güter oder stellen Dienstleistungen für die Gesellschaft bereit, für die im Herstellungs- beziehungsweise Bereitstellungsprozess neben Ressourcen auch Arbeitskraft und Arbeitszeit benötigt wird: Die Flächen der Solidarischen Landwirtschaft und der urbanen Gärten müssen bestellt, gepflegt und abgeerntet, im Repair Café kaputte Gegenstände durch Menschenhand wieder auf Vordermann gebracht und für das Bike-Sharing-System Arbeitszeit und Organisationsvermögen aufgebracht werden. Wie aber unterscheiden sich die Pioniere des Wandels dann von klassischen Arbeitsräumen?

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Ein zentraler Unterschied zu klassischen Arbeitsräumen ist, dass die anfallende Arbeit der Pioniere des Wandels zum größten Teil selbstbestimmt und selbstzweckhaft erledigt wird. Eine Solidarische Landwirtschaft wird von ihren Mitgliedern bei anfallenden Arbeiten unterstützt (vgl. Interview Solawi Kell am See 06.12.2021), im Repair-Café arbeiten Menschen aus Interesse am Werkeln und am Tüfteln zusammen (vgl. Repair-Café Mainz 2022) und die Organisator:innen der ELMA Lastenrad-Initiative, ein Bike-Sharing-Anbieter aus Mainz, arbeiten ehrenamtlich für die Bereitstellung von Lastenrädern für die Verkehrswende in ihrer Stadt (vgl. Interview ELMA Lastenrad 17.11.2021). Zwar sind bei vielen Initiativen, sich ergebend aus der Notwendigkeit von Fachwissen, auch meist ein oder mehrere Mitarbeiter:innen hauptamtlich angestellt (wie zum Beispiel bei der Solidarischen Landwirtschaft Kell am See mehrere Gärtner (vgl. Interview Solawi Kell am See 06.12.2021)), jedoch erscheint ein großer Teil der Mitwirkenden selbstmotiviert und freiwillig. So stehen die aufgebrachte Zeit und Arbeit nicht in Verbindung zu ökonomischen Zwängen, Gewinnmaximierung oder einem fremdbestimmten Arbeitsverhältnis, sondern es geht hierbei darum, aus eigenem Willen und aus eigener Motivation sich freiwillig für eine Idee oder ein Projekt zu engagieren – es wird gehandelt und nicht gearbeitet (mehr dazu unter Arbeit).

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Gleichzeitig findet diese Arbeit beziehungsweise dieses Handeln in der freien Zeit der Menschen statt: Nach der sonstigen, erwerbsorientierten Arbeit helfen Menschen abends für einige Stunden in einer Solidarischen Landwirtschaft aus (vgl. Simpfendörfer 2017, S. 94), reparieren Ehrenamtliche am Wochenende defekte Geräte im Repair-Café Reparatören-Treff Gunters-Blum (vgl. Reparatören-Treff o.J.) oder organisieren Menschen in ihrer freien Zeit einen Dorfladen und Veranstaltungen im Tante Emma Arzheim (vgl. Tante Emma Arzheim 2022). So treffen in den Pionieren des Wandels Arbeit und Freizeit zusammen; es wird sozusagen in Freizeit „gearbeitet“. Anstelle der Arbeit steht hierbei jedoch die Lust an der Tätigkeit selbst und das sinnerfüllende Engagement im Vordergrund: „[Ich] bin ganz froh, einen Beitrag leisten zu können“ (vgl. Interview Elma Lastenrad 17.11.2021). Die Mitarbeit in den Pionieren des Wandels wird so zur Freizeitaktivität der Mitwirkenden. Des Weiteren gestalten sich viele Pioniere des Wandels auch selbst als Freizeitraum aus. Die selbstorganisierten und ehrenamtlich arbeitenden Projekte Eselsohr in Kaiserslautern sowie Haus Mainusch in Mainz bieten zeitgleich Kneipenabende, Veranstaltungen wie Konzerte oder Lesungen sowie Informationsabende zu bestimmten Themen an (vgl. Interview Haus Mainusch 17.12.2021; Interview Eselsohr 15.12.2021). Auch das Kaffee Kaputt und das Fatal Landau haben sich als nicht-gewinnorientierte Kneipen und Veranstaltungsorte in Gau-Algesheim respektive Landau etabliert (vgl. Kaffee Kaputt 2022; Fatal Landau 2022). Jedoch nicht nur die Pioniere des Wandels aus dem Freizeitbereich selbst, sondern auch viele Pioniere aus primär anderen Bereichen entwickeln sich immer mehr zu multifunktionalen Freizeit- und Begegnungsräumen, an denen sich Menschen vernetzen und gemeinsam Veranstaltungen organisieren. Beispielhaft seien hierfür Beobachtungen aus einem Urban Gardening-Projekt angeführt:

 

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„Manche gärtnern wenig, sondern spielen die

meiste Zeit Gitarre, treffen Freunde, picknicken.

Wieder andere kommen wegen einer Veranstaltung,

einem Workshop oder einem Interview“

(vgl. Martens/ Artola 2017, S. 311).

 

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Auch die Solawi Trier organisiert regelmäßig Veranstaltungen wie ein Erntedankfest oder eine Skill-Sharing-Woche mit Angeboten wie Yoga oder kleinen Konzerten, die allen offen stehen (vgl. Abb. 1).

 

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So entwickelt sich in den Pionieren des Wandels ein neues Verhältnis von Arbeit zu Freizeit: Menschen produzieren in den Pionieren Güter sowie Dienstleistungen und müssen hierfür – einem klassischen Verständnis nach – Arbeitszeit und Arbeitskraft aufbringen. Gleichzeitig verbringen die Menschen hier aber auch ihre freie Zeit und sehen in der Produktion selbst Freizeitaktivitäten, die sie gerne und mit Freude ausüben. So spannt sich neben dem Arbeitsraum auch ein Freizeitraum auf und die Pioniere des Wandels brechen die Polarität von Arbeit und Freizeit, sowohl zeitlich als auch räumlich, auf. Es werden am selben Ort Güter und Dienstleistungen für das Gemeinwohl produziert sowie die eigene Freizeit verbracht, wobei Freizeit und Arbeitszeit hier zu einer einzigen zeitlichen Symbiose verschmelzen. Arbeit steht hier nicht mehr im Widerspruch zur Befriedigung von Bedürfnissen und Freizeit definiert sich ebenso wenig über das Nicht-Vorhandensein von Arbeit. Anstatt konsumorientierten Aktivitäten in ihrer freien Zeit abseits der erwerbsorientierten Arbeit nachzugehen, erfüllen sich die Mitwirkenden ihre Bedürfnisse ganz bewusst mit den Handlungen und Tätigkeiten in den Pionieren des Wandels.

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Pioniere des Wandels als Räume der Muße

Dieses hybride Denken, in dem Arbeit und Freizeit nicht-binäre Kategorien bilden, findet sich im  Konzept der Muße wieder (vgl. Abb. 2). Muße hat weder einen inhaltlichen Bezug zu (Frei-)Zeit oder zu Arbeit, sondern Muße „beginnt erst, sofern man die zugelassene Phase, die nicht der Arbeit unterstellt sein soll und damit allein von der Arbeit her bestimmt ist, als zugelassene vergisst“ (vgl. Figal 2014, S. 30). Muße überwindet somit das kategoriale Denken in Arbeit oder Freizeit. Bei Muße geht es vielmehr um „jene Stunden, in denen wir einmal nicht dem Geld, der Karriere oder dem Erfolg hinterherrennen, sondern in denen wir zu uns selbst und unserer eigentlichen Bestimmung kommen“ (vgl. Schnabel 2012, S. 21). Dabei ist wichtig anzumerken, dass es sich bei Muße nicht um ein Synonym für Untätigkeit oder Nichtstun handelt. Stattdessen ist Muße in der Regel mit einer Tätigkeit oder einer Aktivität verbunden, in der eine Person aufgeht und die sie frei von allen Zwängen sowie selbstbestimmt ausübt (vgl. Hasebrink und Riedl 2014, S.6; Figal 2014, S. 30; Schnabel 2012, S. 21). Es geht hierbei um den Wert eines Moments selbst, der außerhalb der modernen Verwertungslogik sowie Zielorientierung liegt und allein aus Selbsterfüllung und Selbstzweck erlebt wird (vgl. Figal 2014, S. 30; Schnabel 2012, S. 21). Muße kann hierbei viele verschiedene Formen annehmen und in unterschiedlichsten Rahmen erlebt werden, wie zum Beispiel beim urbanen Gärtnern, Musizieren oder einem inspirierenden Gespräch oder beim Wandern. Letztendlich verkörpern genau die Augenblicke Muße, die „sich zeitlich zu Stunden oder Tagen ausdehnen [können], um sich auf ein Einziges zu konzentrieren: Eigenzeit“ (Nowotny, zit. in Schnabel 2010, S. 43).

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So lassen sich die Handlungen und Aktivitäten in den Pionieren des Wandels an der Grenze von Arbeit, Freizeit und Hobby letztendlich unter dem Begriff der „Muße“ zusammenfassen. Wie oben bereits beschrieben, wird in den Pionieren des Wandels die Polarität von Arbeit und Freizeit aufgehoben und die Menschen gehen den Aktivitäten aus Freude und Interesse nach. Sie handeln freiwillig, selbstbestimmt und insbesondere selbstzweckhaft und das Engagement nimmt einen großen Stellenwert in ihrem Leben ein: „Ich sehe das Haus Mainusch schon als einen großen Teil von meinem Leben“ (vgl. Interview Haus Mainusch 17.12.2021). Es geht den Mitwirkenden weder um Erfolg, Geld oder Karriere, sondern um Selbstverwirklichung und die Freude an den Dingen selbst: „Es ist […]  ein gemeinsames Gestalten von dem Raum; jeder kann irgendwas einbringen und so wächst der Raum. Man kann sich hier verwirklichen und das ist mir schon auch wichtig“ (vgl. Interview Haus Mainusch 17.12.2021). Die Pioniere stellen so einen Freiraum außerhalb der modernen Verwertungslogik und Zielorientierung dar und das selbsterfüllende Gestalten der freien Zeit, die Eigenzeit, steht im Vordergrund des Engagements. Dementsprechend handeln die Menschen hier nicht aus Zwang oder aus Fremdbestimmung, sondern aus Selbstzweck und intrinsischer Motivation – aus Muße. Verdeutlicht werden kann die Muße anhand der Beobachtungen über Mitwirkende in einem Urban-Gardening-Projekt: „Sie nehmen sich Zeit für die Gartenarbeit und sie entdecken Freude am Hegen und Pflegen. Sie stöhnen über und sie genießen die Gartenarbeit, sie finden hier einen Anker für Konstanz und Ausdauer, meist ohne das Gärtnern zu sportlich oder zu ehrgeizig zu betreiben. Sie empfinden die Gartenarbeit und die Pflege der Pflanzen als bereichernd und befriedigend, ganz besonders, wenn man sie ernten und essen kann. Die Pflege und die Beobachtung der heranwachsenden Nahrungsmittel ist etwas eigentümlich Beglückendes“ (vgl. Werner 2011, S. 60f).

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Pioniere des Wandels erschaffen mithin Räume der Muße. Nach Figal sind Muße-Räume solche Räume, die sich von selbst mit Muße verbinden. Hierfür ist es notwendig, dass sich die Räume von „Arbeit und Geschäft [abgrenzen sowie] das normale Leben ausschließen“ (Figal 2014, S. 26). Beispiele dafür seien Teehäuser, Gärten oder Hotels. Auch die Pioniere des Wandels grenzen sich explizit von der Lebensumwelt, von herkömmlicher Arbeit und Geschäft ab, in dem sie anders wirtschaften wollen. Statt am dominierenden Markt zu wirtschaften, handeln sie innerhalb sozialer Beziehungen und Gemeinschaften. Die sinnerfüllende Tätigkeit selbst und das sowohl räumliche als auch zeitliche Zusammentreffen von Arbeit und Freizeit bestimmen die Praktiken der Pioniere in konkreten Raumzusammenhängen.

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Ein ganz normaler Muße(all-)tag

Handeln statt Arbeiten und das Ausüben gemeinwohl- statt konsumorientierter Tätigkeiten in der Freizeit – diese Alternativen bieten die Pioniere des Wandels zum vorherrschenden Verständnis von Arbeit und Freizeit. Anstatt fremdbestimmt und erwerbsorientiert zu arbeiten und die Freizeit mit konsumorientierten Aktivitäten zu verbringen, können sich Menschen in den Pionieren des Wandels ganz bewusst ihrer Muße widmen. Sei es das Gärtnern in einem Urban Gardening-Projekt, das Tüfteln in einem Repair-Café oder das Ausrichten eines Konzerts in einem Veranstaltungsort – Menschen gehen in verschiedenen Transformationsfeldern Tätigkeiten nach, die ihnen Freude bereiten, und können sich in diesen Räumen selbst verwirklichen. So entstehen hier Räume der Muße und die Trennung der beiden zentralen Zeitkategorien, die Arbeitszeit und die Freizeit, wird aufgehoben: Menschen „arbeiten“ in ihrer Freizeit und verbringen ihre Freizeit dort, wo sie „arbeiten“.

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So lassen die Pioniere des Wandels einen ganz neuen (oder besser: alten?) Blick auf die zentrale Frage zu, wie wir unsere Zeit verbringen. Zeit ist längst eine knappe Ressource geworden in einer sich stetig beschleunigenden Welt, die geprägt ist von Stress, Reizüberflutung sowie Profitmaximierung (vgl. Rosa 2016, S. 316; Schnabel 2012, S. 16). Unsere verfügbare Zeit wird dabei von Arbeit dominiert: Entweder arbeiten wir oder wir kompensieren in unserer Freizeit (sollte nicht jede Zeit „frei“ sein?) Bedürfnisse, die wir während der Arbeit nicht bedienen können. Warum aber muss überhaupt unterschieden werden zwischen Arbeitszeit und Freizeit? Die Pioniere des Wandels bieten hier mit der Rückbesinnung auf die Muße eine Alternative zur wechselnden Abfolge von Arbeit und Freizeit: Sie bieten Räume, in denen sich beide Zeitkategorien vereinen und so die hegemonial gewordene Überbewertung von Arbeit rekonstruieren. Menschen können hier, abseits von Arbeit und Freizeit, ihre Muße pflegen und gleichzeitig gemeinwohlorientiert tätig sein, indem zum Beispiel Lebensmittel produziert werden. So lassen die Pioniere des Wandels und die Rückbesinnung auf Muße Utopien von einem neuen Zeitverständnis zu: Dem Nachgehen von Muße anstatt von Arbeit und Freizeit. Momentan verbringt ein Mensch  in Deutschland durchschnittlich acht Jahre ununterbrochen mit Lohnarbeit, was etwa 10% der Lebenszeit ausmacht (vgl. Rosswog 2018, S. 46). Im Sinne eines Zeitwohlstands könnte diese Erwerbsarbeitszeit deutlich reduziert werden zugunsten von Muße-Zeit, in der Menschen frei und selbstbestimmt Tätigkeiten nachgehen können, die ihnen Freude bereiten und gleichzeitig gemeinwohlorientiert sind: Eine Person, die gerne im Garten arbeitet, produziert Obst und Gemüse für die nähere Umgebung. Eine andere Person, die gerne kocht und backt, eröffnet vielleicht ein Café oder ein Restaurant. Und wiederum eine andere Person, die handwerklich begabt ist, hilft beim Bau oder der Reparatur von Infrastrukturen. So lässt die mit den Pionieren des Wandels verbundene Rückbesinnung auf die Muße einen alternativen, selbsterfüllenden Alltag zwischen Arbeit und freier Zeit im Sinne der Muße imaginieren:

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Montagmorgen. Der Wecker klingelt. Aufstehen. Frühstücken. Kurz ins Bad und sich auf den Tag freuen. Der Liebe an Gartenarbeit und Natur in einem Urban Gardening-Projekt nachgehen, seiner Kreativität in einem Repair-Café freien Lauf lassen oder Kraft und Zeit in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt investieren. Gelöst und gut gelaunt nachhause kommen. Die wirklich freie Zeit am Nachmittag und Abend nutzen, um in Gemeinschaft den Tag ausklingen zu lassen. Ins Bett gehen und entspannt einschlafen.

 

Literatur

Bürkner, H.-J./ Lange, B. (2021): Situierte Raumkonzepte zur Erklärung von Arbeitsprozessen im Kontext von Postwachstumsökonomien. – In: Lange, B./ Hülz, M./ Schmid, B./ Schulz, C. (Hrsg.): Postwachstumsgeographien. Raumbezüge diverser und alternativer Ökonomien. Transcript Verlag, Bielefeld.

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Fatal Landau (2022): Die Uni-Kneipe in Landau in der Pfalz. - URL: https://www.fatal-ld.de/. [07.02.2022].

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Figal, G. (2014): Die Räumlichkeit der Muße. – In: Hasebrink, B./ Riedl, P.P. (2014): Muße im kulturellen Wandel. De Gruyter, Freiburg. 26-33.

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Hasebrink, B./ Riedl, P.P. (Hrsg.) (2014): Muße im kulturellen Wandel. De Gruyter, Freiburg.

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Kaffee Kaputt (2022): Kaffee Kaputt. Three days of Schoppe and music. - URL: https://kaffeekaputt.de/. [07.02.2022].

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Kaplánek, M. (2021): Neue Dimensionen der Freizeitpädagogik in der Postwachstumsgesellschaft. – In: Freericks, R./ Brinkmann, D.: Erlebnis. Gemeinschaft. Transformation. Berufsfeld Freizeit und Tourismus im Umbruch. Hochschule Bremen, Bremen. 37-52.

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Martens, D./ Artola, M. (2017): Nachhaltig wirtschaften ... auch ohne gute Vorsätze? – Urban Gardening als Nährboden für nachhaltiges Handeln. In: Jaeger-Erben, M./ Rückert-John, J./ Schäfer, M. (Hrsg.): Soziale Innovationen für nachhaltigen Konsum. Wissenschaftliche Perspektiven, Strategien der Förderung und gelebte Praxis. Springer VS, Wiesbaden. 305-314.

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Repair Café Mainz (2022): Die Initiative. – URL: http://repaircafemainz.org/?page_id=42. [07.02.2022]

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Reparatören-Treff Guntersblum (o.J.): Reparatören-Treff Guntersblum. - URL: https://www.reparatoere.org. [07.02.2022].

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Reuber, P. und D. Schnell (2006): Postmoderne Freizeitstile und Freizeiträume: Neue Angebote im Tourismus. Erich Schmidt Verlag, Berlin.

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Rosa, H. (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp, Berlin.

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Rosa, H. (2012): Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Suhrkamp, Frankfurt am Main.

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Rosswog, T. (2018): After work. Radikale Ideen für eine Gesellschaft jenseits der Arbeit. Oekom, München.

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Schnabel, U. (2010): Muße: Vom Glück des Nichtstuns. Pantheon Verlag, München.

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Schnabel, U. (2012): Muße: Vom Glück des Nichtstuns. Pantheon Verlag, München.

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Simpfendörfer, C. (2017): Solidarische Landwirtschaft: Verbraucher gestalten Land(wirt)schaft. - In:

 

Kost, S./ Kölking, C. (Hrsg.): Transitorische Stadtlandschaften. Welche Landwirtschaft braucht die Stadt? Solidarische Landwirtschaft: Verbraucher gestalten Land(wirt)schaft. Springer, Wiesbaden. 85-94.

 

Tante Emma Arzheim (2022): Mitmachen? Mitmachen!. – URL: https://tante-emma-arzheim.de. [07.02.2022].

 

Werner, K. (2011): Eigensinnige Beheimatungen. Gemeinschaftsgärten als Orte des Widerstands gegen die neoliberale Ordnung. - In: Müller, C.: Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. Oekom, München. 54-75.

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Abb. 1: Gemeinsame Yoga-Stunde in der Solidarischen Landwirtschaft Trier (Solawi Trier 2021)

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Abb. 2: Arbeit, Muße und Freizeit (Eigene Darstellung)

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