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Theorie: Willkommen

Zurück in die Zukunft? Der Wandel von Freizeit

Autorin: Franziska Beringhoff

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Was bedeutet Freizeit?

In diesem Beitrag wird der Fokus darauf gelegt, wie wir unsere Freizeit, unsere wörtlich genommen freie Zeit, verbringen. Was machen wir in dieser Zeit und welche sozial-ökologischen Folgen hat dies? Mit wem oder was beschäftigen wir uns und wie hat sich das Freizeitverhalten der letzten Jahre und Dekaden verändert? Wie positionieren sich dabei neue Initiativen in der Stadt und auf dem Land, um dem sozial-ökologischen Wandel entgegenzutreten und neue Möglichkeitsräume für verschiedene Bevölkerungsgruppen zu schaffen?

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„Arbeit ist mein Hobby – ich brauche keinen anderweitigen Ausgleich, denn wenn man sein Hobby zum Beruf macht, muss man sein Leben lang nicht mehr arbeiten.“ Na, wem von Ihnen ist dieser Satz sinngemäß bereits einmal begegnet? Ist Freizeit als solches in der heutigen schnelllebigen, extrem dynamischen Zeit vielleicht überbewertet und kann ersetzt werden durch Hobby und Arbeit? In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Begriff der Muße. Die Verbindung von Freizeit und Muße ist in der Literatur vielseitig diskutiert worden und wird es immer noch, auch im theologischen Kontext, was die enorme Bandbreite des Diskurses widerspiegelt. Eggensperger (o. J.), S. 207 spricht hierbei beispielsweise von „sozialethischer Relevanz“ von Freizeit und Arbeitszeit.

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Transformation von Freizeit und deren Gestaltung

Was wir unter Freizeit verstanden? Der Begriff Freizeit mag zunächst klar umrissen sein, jedoch hat der Begriff in der Vergangenheit einige Veränderungen und Umdeutungen durchlebt. Isengard (2005) behauptet, dass Unterschiede in der Freizeitgestaltung „nach wie vor Ausdruck der sozialen Lage“ seien. Dies impliziert sogleich, dass derartige Unterschiede untrennbar mit dem Einkommen, welches maßgeblich den Wohlstand einer Gesellschaft und des Einzelnen beeinflusst, verbunden sind. Aber auch die Art der Beschäftigungsverhältnisse und die Einbindung in Care-Arbeit verändert sich kontinuierlich (s. dazu Arbeiten). 

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Darüber hinaus hat sich die Bedeutung der Freizeit im Laufe der Zeit stark gewandelt. War es einige Jahrzehnte früher für die „Regeneration der Arbeitskraft“ (Isengard 2005, S. 1) vorgesehen, so ist in der heutigen Zeit eine Vielzahl an Beschäftigungsmöglichkeiten – von Gruppen- über Einzelaktivitäten bis hin zu Vereinsengagement und Ehrenamt – möglich, die aber gleichzeitig auch die Fluktuation in den jeweiligen Sparten erhöhen können. Ebenso sagen Edington/Chen (2008), S. 5: „ […] the world we live in is in a state of constant transformation.”

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Wie also vollzieht sich ein sich fortwährend neuer entwickelter und entwickelnder Wandel? Man könnte sagen, dass es immer um ein Zusammenspiel von Wachstum, Erfolg und sozialen Fortschritt geht sowie um eine persönliche Veränderung (vgl. Edington/Chen 2008, S. 3). Die Autoren Edington/Chen bezeichnen dies als Basis für eine Weiterentwicklung. Wachstum und Erfolg sind im ersten Moment Attribute, die eher aus dem Kontext der Wirtschaftswissenschaften geläufig sind als in sozialwissenschaftlichen und geographischen Ansätzen. Jedoch beschreiben es die genannten Autoren als „kontinuierliches Wachstum und Entwicklung“ (ebd.), was auf die persönliche Ebene übertragbar und reduzierbar ist. Gleichwohl merken sie aber auch an, dass der Mensch immerzu auch Stabilität und eine gewisse Routine benötigt, um der Schnelllebigkeit und dem kontinuierlichen Wandel entgegenzuwirken (vgl. ebd.). Es wird gar von „überleben“ (ebd.) gesprochen.

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Doch auch neue, „hippe“ und zugleich transformative Ansätze zeigen, wie aus dem Mapping der Pioniere des Wandels im Rahmen des Lehrforschungsprojektes hervorgeht, dass sich die Welt der Freizeit und Erholung in einem sich andauerndem Wandel befindet. Ebenso die Vereinigung von Erwerbsarbeit und freizeitlichen Aktivitäten eröffnet neue Möglichkeiten, wie sich in urbanen Zentren in Form von diversen Cafés und Sharing-Angeboten zeigt (vgl. Anders/Kreutz/Krüger 2017, S. 16).

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Diese Formen des Austauschs und der Versorgung finden sich in der Projektstudie des Alternativen Wirtschaftens. Pioniere des Wandels existieren demzufolge in den verschiedensten Bereichen des täglichen Lebens – Wohnen, Arbeiten, Bildung, Versorgung, Verkehr und Mobilität und eben auch in Freizeit und Erholung. Interessant hierbei zu beobachten ist, dass der Freizeitbereich keine Trennschärfe zu den anderen Bereichen aufweisen kann. Denn für Freizeit gibt es keine klare und eindeutige Definition; zudem definiert jede/r diesen Begriff als etwas Persönliches und hegt eigene Konnotationen. Freizeit als solches hat darüber hinaus in den letzten Dekaden eine Transformation durchlebt und entwickelt sich gegenwärtig ständig weiter.

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Waren im Jahre 1967 nach Dumazedier noch Entspannung, Unterhaltung und persönliche Entwicklung die drei tragenden Säulen der Funktionen von Freizeit (Veal 2019, S. 3), so wandelte sich dieses Verständnis in den kommenden Jahren. Nach Veal (2019), S. 3 ist Freizeit „[…] Aktivität – abseits von beruflichen, familiären und gesellschaftlichen Verpflichtungen […].“ Nach Leitner/Leitner (2004), S. 3 wird Freizeit als „[…] freie oder unverbindliche Zeit definiert“ und „[…] beinhaltet keine Arbeit oder die Ausübung anderer lebenserhaltender Funktionen.“ Wie sich hieraus bereits ableiten lässt, lässt der Begriff Freizeit eine Menge Definitionsspielraum zu, der stetig erweitert wird. Freizeit als Begrifflichkeit ist also mehr als nur freie Zeit.

 

 

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Ebenso muss konstatiert werden, dass Freizeit nicht zwangsläufig mit etwas Positivem konnotiert sein muss. Der Begriff kann ebenso negativ behaftet sein (vgl. Leitner/Leitner 2004, S. 4). Auch die intrinsische bzw. extrinsische Motivation nach dem Freizeitparadigma von Neulinger aus dem Jahr 1981 ist beachtenswert (siehe Abb. 1). Denn hierbei geht es um die Motivation, weshalb etwas Bestimmtes in der eigenen Freizeit getan wird. Die intrinsische Motivation ist demnach auf die eigene Motivation zurückzuführen und damit dem Wunsch, aus freien Stücken und um an der Aktivität selbst teilzunehmen. Konträr dazu steht die extrinsische Motivation, welche besagt, dass nur an einer Aktivität teilgenommen wird, um externe Faktoren wie z.B. die Geldgewinnung hervorzurufen (Leitner/Leitner 2004, S. 5).

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Dieses Paradigma und die Verhältnisse zwischen Freizeit und Arbeit sind in Abb. 1 dargestellt. Demnach ist auf der linken Seite der Tabelle die empfundene Freizeit dargestellt mit den Verhältnissen von reiner Freizeit, Freizeit-Arbeit und Freizeit-Job. Nach Leitner/Leitner (2004) fallen unter Freizeit-Arbeit und Freizeit-Job bereits viele Aktivitäten aus dem täglichen Leben, wie beispielsweise die Ausübung von Sport, da auch extrinsische Motivationen wie der gesundheitliche Aspekt oder die Gewichtsreduktion wesentliche Treiber sind.  Die rechte Seite der Tabelle zeigt hingegen den empfundenen Zwang auf und wenn es sich um keine Freizeit handelt.

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Dieser Ansatz ist jedoch auch kritisch zu betrachten, denn es ist wohl kaum möglich, zu verallgemeinern, wann und aus welchen konkreten Motiven und Motivationen heraus ein Mensch beispielsweise Sport in seiner Freizeit betreibt. Somit bleiben die Grenzen zwischen reiner Freizeit und der Verknüpfung mit Arbeit und Berufstätigkeit nach wie vor nicht trennscharf. Des Weiteren ist Freizeit aber auch ein Symbol des sozialen bzw. sozioökomischen Status (vgl. Leitner/Leitner 2004, S. 11). Dies wiederum zeigt auf, dass der Zugang zu Freizeit- und Erholungsmaßnahmen nicht für alle Personen gleichermaßen vorhanden ist und es fortwährend Divergenzen bezüglich der Zugänglichkeit zu Projekten gibt, sei es monetärer Natur oder bedingt durch unzureichende Barrierefreiheit verschiedenster Ausprägungen. Gleichzeitig löst und lockert sich aber auch das Sozialgefüge im Freizeitsektor, denn die „Schichtzugehörigkeit“ (Isengard 2005, S. 3) verliert zusehends an Bedeutung und der Zugang zu Freizeitangeboten wird somit einer breiteren Masse verfügbar gemacht.

 

 

 

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Wie aus Abb. 2 ersichtlich wird, gibt es schematische Entwürfe zur Evolution von Freizeit. War es im Mittelalter noch ein wahrer Luxus, Freizeit zu haben, so entwickelte sich daraus im Laufe der Zeit ein Gut, was der breiten Masse der Bevölkerung mit der Zeit zuteil geworden ist. Während der Industriellen Revolution kam die Erkenntnis, dass eine Zunahme an Arbeitszeit und Produktivität auch Erholungszeiten zur Regeneration des arbeitenden Volkes erforderte. In unserem Zeitalter der digitalen Revolution existieren immer neue Formen der sozialen Interaktion, auch getrieben durch soziale Medien und Netzwerke, die einen noch dynamischeren Austausch und schnellere Verabredungen ermöglichen.

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Die technologische Transformation der Freizeit erlaubt am heutigen Tage eine Vielzahl an Beschäftigungsmöglichkeiten. Neue mediale Angebote erschaffen Reichweiten, die vor einigen wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen wären. Sie sind „integraler Bestandteil“ (vgl. Bryce 2001, S. 7) der Freizeitgestaltung. Gleichzeitig existieren aber, und nicht erst in der Veröffentlichung von Bryce aus dem Jahre 2001, Theorien der Stadt-Land-Divergenzen, die auch im Freizeitsektor diskutiert werden. 

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Wie positionieren sich neue Initiativen in der Stadt und auf dem Land, um dem Lebensstilwandel entgegen treten zu können und neue Anreize zu schaffen?

Pioniere des Wandels im Freizeitbereich werden dem Paradigma der intrinsischen Motivation zugerechnet. Vor allem die beiden interviewten Initiativen, das Eselsohr in Kaiserslautern als Kultur- und Freizeittreff und das Haus Mainusch in Mainz als selbstverwaltetes Kulturzentrum,  zeigen deutlich die eigene Motivation der Gründerinnen und Gründer, etwas Transformatives zu erschaffen und einen Mehrwert für alle interessierten Bürgerinnen und Bürger darzustellen.

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Im Bezug zur oben genannten Zugänglichkeit ist beiden Initiativen enorm wichtig, diese für alle Bevölkerungsschichten zu erhalten und zu fördern. Im Eselsohr beispielsweise verstehen sich die GründerInnen als „Entwicklungskatalysator“ (Interview Eselsohr 15.12.2021) für andere Personen oder Gruppen und veranstalten verschiedene Aktionen, bei denen sowohl eine junge Generation angesprochen wird als auch die Generation 50 plus.

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Diese Diversität der Angebote ist ein Aushängeschild des Eselsohres und beschert ihnen ein gemischtes Publikum von „16 bis 60“ (Interview Eselsohr 15.12.2021). Bezüglich der Zugänglichkeit für alle Beteiligten und Interessierten ist es zudem dem Eselsohr ein großes Anliegen, „[…] die Infrastruktur schonmal relativ niedrigschwellig […]“ bereitzustellen (Interview Eselsohr 15.12.2021). Als Motivation des Projektes sieht die Initiative in Kaiserslautern auch die Transformation, die sich – wie bereits oben beschrieben – in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten im Freizeitsektor vollzogen hat und sich in einem ständigen Wandel befindet. Das Eselsohr will „[…] eine Vision haben, wie die Gesellschaft aussehen könnte und die dann auch direkt umsetzen […]“ und darüber hinaus „[…] ein paar Dinge in der Gesellschaft auch grundlegend ändern.“ (Interview Eselsohr 15.12.2021). Eine gesellschaftliche Transformation ist also oftmals direkt mit einer Transformation von Freizeit verknüpft.

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Das Eselsohr behauptet von sich, dass sie die Debatte um alternative Gesellschaftsstrukturen anfachen wollen, was impliziert, dass es um weit mehr als nur den Freizeitsektor geht. Vielmehr zeigt dies auf, dass auch die anderen im Projekt untersuchten Bereiche und Initiativen des Wohnens, Arbeitens, Bildens, Fortbewegens und des Versorgens einem Wandel unterliegen und überall dort Gesellschaft mit Strukturen eingebettet ist.

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Fazit und Ausblick

Es ist offensichtlich, dass sich der Freizeitsektor noch lange nicht ‚ausverändert‘ hat. Ein stetiger und konstanter Wechsel in Umwelt und Gesellschaft erfordert nach wie vor Adaptionen in allen Bereichen des täglichen Lebens, von Arbeit und Bildung über Wohnen, Versorgung, der Mobilität bis hin zur Freizeit, die gleichwohl alle anderen Bereiche miteinschließt. War früher Freizeit und Erholung ein Luxusgut und damit nur wenigen vorbehalten, so ist aus unserem Leben ein Urlaub im Jahr oder ein spontaner Wochenendtrip nicht mehr wegzudenken. Die Motivationen, warum wir etwas in unserer freien Zeit tun oder auch nicht, sind ebenso vielfältig wie schwierig zu erfassen. Denn in unserer hochentwickelten und digitalisierten Zeit geht nicht selten Freizeit mit Arbeit und/oder Berufstätigkeit einher, was diese Bereiche zusehends miteinander verschwimmen lässt.

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Hat sich in den letzten Jahren, Dekaden und Jahrhunderten (vgl. Abb. 2) eine revolutionäre Entwicklung im Bereich der Freizeit und Erholung vollzogen, so wird sich die Entwicklung in den kommenden Jahren sicherlich mit neuer Geschwindigkeit vollziehen und noch vielfältiger sein. Vor allem der Bereich der ‚digitalen Welt‘ wird neue Herausforderungen schaffen, da damit auch ein großes ‚Sortiment‘ an Freizeitaktivitäten miteinander konkurriert. Gleichzeitig werden Angebote dadurch auch niedrigschwelliger zugänglich gemacht und der sozioökonomische Status der Zielgruppen verliert an Bedeutung, wenngleich dieser immer noch vorhanden ist und auch immer noch eine Rolle in der Zugänglichkeit von Projekten spielt. 

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Umso wichtiger sind lokale Akteure, die engagiert sind, den Menschen eine Vielfältigkeit an Angeboten und Teilhabe anzubieten, wie dies beispielsweise im Eselsohr Kaiserslautern der Fall ist. Flache bzw. keine Hierarchien sollen dazu dienen, dass Menschen wieder einfacher partizipieren können und Angebote grundsätzlich niedrigschwellig bereitgestellt werden. Eine breite Angebotspalette regt den Austausch zwischen Jung und Alt an und fördert diesen stetig, was unablässig für die Weiterentwicklung jedes Einzelnen ist.

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Literatur 

Anders, S./Kreutz, S./Krüger, T. (2017): Transformation urbaner Zentren. Den „Marktplatz “neu definieren. Themenheft der PLANERIN „Stadt statt Handel. Die Zukunft der Handelsstadt “, Bd, 6, 16-18.

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Bryce, J. (2001): The technological transformation of leisure. Social Science Computer Review, 19(1), 7-16.

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Edginton, C. R./Chen, P. (2008): Leisure as transformation (pp. 67-121). Champaign, IL, USA: Sagamore Publishing

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Eggensperger, T. (o. J.): Freizeit und Schöpfung.

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Juniu, S. (2009). The transformation of leisure. Leisure/Loisir, 33(2), 463-478.

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Leitner, M. J./ Leitner, S. F. (2004): Leisure enhancement. Haworth Press.

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Veal, A. J. (2019): Joffre Dumazedier and the definition of leisure. Loisir et Société/Society and Leisure, 42(2), 187-200.

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Abb.1: Freizeitparadigma nach Neulinger 1981 (Eigene Darstellung nach Leitner/Leitner 2004, S. 6)

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Abb. 2: Evolution der Freizeit (Eigene Darstellung nach Juniu 2009, S. 3)

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