Fazit: Wie Pioniere des Wandels die Transformation vorantreiben
Autor:innen: Saskia Noll und Jonathan Almstedt
Im Lehrforschungsprojekt hat sich die Projektgruppe mit Pionieren des Wandels und ihren konkreten Praktiken alternativen Wirtschaftens im Bundesland Rheinland-Pfalz auseinandergesetzt. Angeleitet von der Frage, welche Akteure und Initiativen eine Transformation hin zu einem besseren Leben, zu sozial-ökologischer Gerechtigkeit sowie zu Wachstumsunabhängigkeit aktiv vorantreiben und welches Potenzial für eine Transformation von ihnen ausgeht, hat sich die Gruppe mit bereits bestehenden Wegbereitern dieses Wandels befasst (vgl. Schmelzer et al. 2021, S. 24ff.).
Ausgangspunkt ist Kritik am Paradigma des ökonomischen Wachstums gemessen durch klassische Indikatoren (beispielsweise dem Bruttoinlandsprodukt). Innerhalb dieser engen Sichtweise auf Wirtschaft sind soziales Wohlergehen und qualitatives Wachstum, wie Care-Arbeit, Tauschringe etc. nicht inbegriffen. Mittlerweile setzt jedoch auch in der breiten Bevölkerung zunehmend ein Bewusstseinswandel ein: Das klassische Verständnis von Wachstum und Wirtschaft muss neu bewertet werden (vgl. Schulz 2017, S. 16ff.). Dazu trägt auch die Einsicht bei, dass die technologischen Innovationen, die häufig insbesondere für ökologische Probleme als Lösung angesehen werden, nicht das Erreichen einer nachhaltigen Entwicklung garantieren können. In der Vergangenheit führten neue Technologien regelmäßig zu neuen Umwelt- und Ressourcenproblemen (vgl. Lange et al. 2020, S. 16). Daher setzen Pioniere des Wandels bei sozialen Innovationen und veränderten Praktiken an. Das Lehrforschungsprojekt hat sich mit diesen Praktiken in sechs sogenannten Transformationsfeldern befasst, diese kartiert und zusammengefasst die folgenden Erkenntnisse daraus gewonnen:
Bildung und Netzwerke
Die Vernetzung der verschiedenen transformativen Akteure ist von wesentlicher Bedeutung für einen gesellschaftlichen Wandel. (Bildungs-)Netzwerke dienen als Katalysatoren für die Transformation. Sie zeichnen sich durch positive Rückkopplungseffekte aus, denn Netzwerke verbreiten Wissen über die Notwendigkeit und Möglichkeit, anders zu wirtschaften. Klassische Netzwerke können dabei Genossenschaften, Vereine, Umweltverbände und auch Hochschulen sein (vgl. Singer-Brodowski et al. 2014, S. 131ff).
Ein Beispiel für ein Netzwerk in Rheinland-Pfalz ist das Myzelium in Trier. Es hat sich als Netzwerk für gemeinschaftsbasierte Gründungen zur Aufgabe gemacht, Unternehmen und Organisationen, die nicht auf die klassische, gewinnmaximierende Art wirtschaften wollen, zu vernetzen. Dadurch wird den einzelnen Akteuren die Möglichkeit gegeben sich gegenseitig auszutauschen und zu unterstützen.
Ein weiteres Beispiel für ein Netzwerk ist die Lokale Agenda 21 in Trier. In ganz Deutschland gibt es Ortgruppen der Lokalen Agenda, deren Ziel es ist, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen bis 2030 auf lokaler Ebene umzusetzen. Der große Vorteil der Lokalen Agenda ist die Verbindung zur politischen Ebene. Neben den lokalen Umsetzungen, wie einem Repair-Café oder einem Agenda Kino, wird die Nähe zur Lokalpolitik und die Netzwerkstruktur der Ortsgruppen insbesondere auch für Forderungen auf der Bundesebene genutzt.
Abseits dieser großen Netzwerkstrukturen gibt es in Rheinland-Pfalz aber auch lokale transformative, wissensvermittelnde Strukturen, wie beispielsweise das Haus der Nachhaltigkeit in Trippstadt oder Waldkindergärten im ganzen Land. Diese sind sowohl in städtischen als auch ländlichen Regionen vertreten.
Wissensaustausch findet in allen sechs von der Projektgruppe herauskristallisierten Transformationsfeldern statt. Somit treiben Akteure verschiedener Bereiche gemeinsam die Transformation voran. Zudem spielt die ehrenamtliche Arbeit in diesem Transformationsfeld eine große und auch entscheidende Rolle, da sie oftmals die Basis eines funktionierenden Netzwerks bildet.
Arbeiten
Das Handlungsfeld Arbeiten kann wohl als eines der wichtigsten Transformationsfelder überhaupt bezeichnet werden, da es so gut wie in jedem andern Teilgebiet vertreten ist und einen direkten Effekt auf die Entwicklung der anderen Teilgebiete hat. Um so fataler ist es, dass die Transformation im Segment Arbeiten nur sehr gering bis gar nicht stattfindet. Die grundlegende Problematik liegt darin, dass unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sehr stark durch das Konzept der Erwerbsarbeit geprägt und somit einem ständigen Streben nach Wachstum ausgesetzt ist. Erwerbsarbeit ist so zentral verwurzelt, da sie Einkommen, Menschen und Tätigkeiten verbindet, und gleichzeitig Prestige und Lebensstandard sowie soziale Kontakte und Kommunikation sichert und somit wesentlich zur Lebensqualität und dem gesellschaftlichen Stellenwert beiträgt (vgl. Spangenberg 2011, S. 15f.). Infolgedessen kann eine Angst vor Einkommens- und Statusverlust entstehen, die das alltägliche Privatleben eines jeden Arbeitsnehmers mal mehr oder mal weniger stark einschränken kann.
Oftmals wird gute Arbeit dann nur noch als eine solche bezeichnet, wenn sie gut bezahlt wird. Doch gerade Care- und Sorgearbeit, die der Erwerbsarbeit fatalerweise untergeordnet werden, sind essentiell für unsere Gesellschaft und ihre soziale Reproduktion, da sie von der Erwerbsarbeit nicht produziert werden kann. Die Kompetenzen der Sorgearbeit werden dabei häufig der spezifisch weiblichen Natureigenschaft unterstellt, was zu einer asymmetrischen geschlechterspezifischen Arbeitsteilung führt, die noch heute in vielen Ländern so existiert (vgl. Senghaus-Knobloch 2011, S. 27).
Um das ökonomische Verständnis von klassischer Erwerbs- beziehungsweise Lohnarbeit zu relativieren, wird in der gegenwärtigen Literatur vermehrt der Begriff des Tätigseins verwendet. Mit diesem Begriff sollen neben der herkömmlichen und entlohnten Erwerbsarbeit auch unbezahlte Versorgungs-, Gemeinschafts- und Subsistenzarbeit einbezogen werden und somit die Vielseitigkeit des Arbeitens und vor allem auch des unbezahlten Tätigseins aufzeigen. Tätigsein stellt zudem einen Bezug zur Lebenswelt und Gesellschaft her, der in der modernen Dienstleistungsgesellschaft oft abhandengekommen ist (vgl. Seidl; Zahmt 2019, o. S.).
In der Praxis ist es häufig schwierig, konkrete Pioniere des Wandels im Transformationsfeld Arbeiten zu identifizieren. Einige können jedoch in der Sharing-Economy verortet werden. Dabei handelt es sich um Coworking-Spaces oder Makerspaces, in denen sich unterschiedliche Gruppierungen treffen und austauschen bzw. gemeinsam arbeiten können. Beispielhaft hierfür ist in Trier das Coworking Space ZWO65, dass entstanden ist, weil der Besitzer sich nicht nur als „eine Nummer in einem großen Konzern“ (Interview ZWO65, 2021) abgeben wollte, sondern einen Wunsch nach Selbstverwirklichung verspürte. Häufig drängt es die Akteure auch dazu, sinnstiftende oder wertvolle Tätigkeiten zu vollbringen und einen Bezug zur realen Lebenswelt zu schaffen.
Problematisch ist jedoch, dass dieses Verständnis bisher nur ein Nischenphänomen ist und längst nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein scheint. Damit dies geschieht, erfordert es einen Entwicklungspfad, der ohne legislative Maßnahmen und den politischen Willen kaum umsetzbar ist. Diese müssen die Notwendigkeit einer Reformierung der Systeme im Sinne der Postwachstumsdiskussion sowie die Überwindung der Abhängigkeit von Wachstum erkennen, um eine übergeordnete Entwicklung anzustreben, die ein Tätigsein ermöglichen. Jedoch scheint dies aufgrund der langsamen Entwicklungen in den letzten drei Jahrzehnten kaum in nächster Zeit zu passieren, weshalb nicht nur die Transformation im Sektor Arbeit, sondern auch in allen anderen Feldern stark verlangsamt wird oder sogar stagniert.
Mobilität
Bei dem Vorantreiben einer Transformation hin zum Alternativen Wirtschaften hält das Handlungsfeld der Mobilität wohl eine besondere Stellung inne, da der Mobilitätssektor eines der größten Problemfelder in Bezug zum Klimawandel ist. So schaffte es etwa der Mobilitätssektor in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten kaum bis gar nicht, seine Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren (vgl. BMU 2021).
Deshalb müssen nun starke Veränderungen induziert werden. Hierfür wird häufig das Wort der Mobilitäts- bzw. Verkehrswende angeführt, das stellvertretend für das Ziel steht, einen Umbau der Verkehrssysteme hin zu einer ganzheitlichen, nachhaltigeren Mobilitätsstruktur zu vollziehen. Dies kann jedoch nicht durch eine reine Umstellung von Kraftstoffmotoren auf Elektromotoren geschehen, so wie es jedoch oftmals mit Blick auf politische Entscheidungsträger und die Automobilhersteller verstanden wird. Neben den technischen Aspekten muss auch ein Wandel in den Köpfen der Gesellschaft und damit im Mobilitätsverhalten der Menschen stattfinden.
Genau dafür setzen sich die sechs vom Projekt herausgefilterten Pioniere des Wandels in Rheinland-Pfalz ein (Unser Elektro-Dorfauto, Fahr-Rad in Mainz, ELMA Lastenradinitiative Mainz, UrStrom-Mobil, BikeKitchen Mainz und Bündnis für Verkehrswende Nördliches Rheinland-Pfalz). Bei allen Akteuren handelt es sich um kleine Organisationen, die sich entweder für die Nutzung von mehr Fahrrädern und Lastenrädern einsetzen, aus eigenen Mitteln ein Elektroauto für die eigene Dorfgemeinschaft organisieren oder sich im Allgemeinen für die Themen der alternativen Mobilität einsetzen und so einen Wandel herbeiführen wollen. Große CarSharing-Anbieter wurden bei unserer näheren Untersuchung außenvor gelassen, da diese in der Regel trotzdem nach einem ökonomischen Grundgedanken handeln. Jedoch können sie nicht ganz vernachlässigt werden, da sie Teil der Mobilitätswende sind, indem sie das Mobilitätsverhalten der Menschen verändern, da CarSharing-Nutzer ihre Wege, bei der Nutzung der Angebote, auf verschiedene Verkehrsmittel verteilen.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Transformationsfeld der Mobilität längst noch nicht ausreichend vorangeschritten ist und es noch viel mehr Pioniere des Wandels benötigt, um den Mobilitätsbereich tatsächlich und nachhaltig, hin zu einem Alternativen Wirtschaften zu verändern. Dafür können jedoch nicht nur kleine Initiativen zur Verantwortung gezogen werden. Es muss vor allem ein grundlegendes Umdenken in Industrie und Politik sowie auch in den Köpfen eines jeden Einzelnen stattfinden.
Freizeit
Der Freizeitsektor verändert sich. Diese Feststellung ist keineswegs neu, erfährt aber eine veränderte Bedeutung im Kontext der notwendigen Transformation Richtung Nachhaltigkeit. Welche Aktivitäten werden in der freien Zeit erledigt, in der keiner dem Lebensunterhalt dienenden Arbeit nachgegangen wird? Sind diese Aktivitäten mit Ressourcenverbrauch, Emissionen und negativen Folgen für Mensch und Umwelt verbunden oder dienen sie der nachhaltigen Entwicklung?
Zunehmend wird in den Transformationsstudien diskutiert, dass es bedeutsam ist, aus welcher Motivation heraus eine Freizeitbeschäftigung getätigt wird. Dabei wird in intrinsische und extrinsische Motivation unterschieden, also ob etwas aus der eigenen Zufriedenheit (intrinsische Motivation) oder durch äußere Reize (extrinsische Motivation) getan wird. Deshalb wird vermehrt der Begriff Muße anstatt Freizeit verwendet. Bei Muße geht es um „jene Stunden, in denen wir einmal nicht dem Geld, der Karriere oder dem Erfolg hinterherrennen, sondern in denen wir zu uns selbst und unseren eigentlichen Bestimmungen kommen“ (Schnabel 2012, S. 21). Somit handelt es sich also um Tätigkeiten, in denen eine Person aufgeht und frei von jeglichen Zwängen und selbstbestimmt ausgeübt wird. Dabei kann Muße verschiedene Formen annehmen, sei es etwa beim Musizieren oder einem inspirierenden Gespräch (vgl. Querschnittsfrage Toresson).
Pioniere des Wandels gibt es im Freizeitsektor in unterschiedlichen Bereichen und unterschiedlichem Ausmaß. Neben vielen Initiativen, die sich im Bereich der ökologischen Modernisierung bewegen, gibt es zunehmend Akteure, die einen transformativen Charakter aufweisen können.
Seien es solidarische Bars oder Gasthöfe, die Getränke und Essen zu einem selbstbestimmten Unkostenbeitrag anbieten oder Initiativen im Kultur- und Veranstaltungsbereich, die Veranstaltungen auf einer solidarischen Basis organisieren (Konzerte, Aufführungen etc.). Als einer dieser besonders transformativen Pioniere stellt sich der libertäre Infoladen und Kulturtreff Eselsohr in Kaiserslautern heraus. Die Initiative wurde durch eine politische Gruppe mit dem Wunsch gegründet, „dass eine Infrastruktur da ist, auf die man zurückgreifen kann, [..] etwas handlungsfähiger ist und Sachen ermöglichen kann, die nicht möglich sind, wenn man sich z.B. [..] an andere Institutionen, wie die Uni, wenden muss, um Räume zu mieten [..].“ (Interview Eselsohr 15.12.2021). So bieten sie nun den geschaffenen Raum für unterschiedliche Arten von Veranstaltungen an, seien es Konzerte, Bildungsvorträge, Brunches oder sonstige Events. Die Finanzierung läuft dabei über solidarische Spenden von Besuchern und Unterstützern der Initiative.
Neben den neueren Pionieren des Wandels lassen sich in Freizeitbereich auch viele etablierte Pioniere des Wandels finden. Diese verfolgen schon seit vielen Jahrzehnten ein solidarisches Leitbild. Dazu zählen die verschiedensten Arten von organisierten Vereinen wie bspw. Sport-, Theater- und Musikvereine. Folgende wurden bei der Kartierung aufgrund ihrer großen Anzahl nicht weiter beachtet, können aber ebenfalls in ihrer Anfangs- bzw. Ursprungsform als Pioniere des Wandels bezeichnet werden.
Final lässt sich jedoch sagen, dass die Transformation im Freizeitsektor noch einen langen Weg vor sich hat, da wie auch in den anderen Transformationsfeldern oftmals die solidarische Denkweise fehlt. So verfolgen viele Akteure in Bereichen der Gastronomie, dem Tourismus oder der Veranstaltungsbranche weiterhin das klassische Geschäftsmodell. Im Tourismussektor zeigt sich in den vergangenen Jahren ein Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und sanftem Tourismus, jedoch geschieht dies nach dem Prinzip einer ökologischen Modernisierung und weist nur sehr geringe transformative Praktiken auf. Dennoch gestalten viele Menschen ihre Freizeit in Gemeinschaften, was sich in Form von Ehrenämtern in Vereinen widerspiegelt und als ein transformatives Verhalten angesehen werden kann.
Versorgung
Das Transformationsfeld Versorgung bezeichnet unserer Definition nach eine Mehrzahl an verschiedenen Aktivitäten. Dazu gehören die medizinische Versorgung, die Energieversorgung oder auch allgemein die Versorgung mit Gütern wie Lebensmitteln, Kleidung, elektronischen Geräten und vielen weiteren Gütern. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Angebote, wurde sich hauptsächlich auf Solidarische Landwirtschaften und Repair-Cafés konzentriert und im Abschnitt Versorgung die SoLaWi Kell am See sowie das Trierer Repair-Café vorgestellt.
Im Transformationsbereich der Nahrungsmittelproduktion und -versorgung sind bereits vielzählige Ansätze des Wandels zu erkennen. Die Entwicklungen werden angetrieben durch einen Wertewandel hin zu regionalen Produkten. Im Vordergrund der Praktiken und Initiativen steht die Verbindung von Produktion und Konsum, so wie es bei den zahlreichen Solidarischen Landwirtschaften (SoLaWi) praktiziert wird.
In den SoLaWi wird regionale Produktion und Subsistenzwirtschaft wieder erlebbar, es findet also ein Wandel von der Fremdversorgung hin zur Suffizienz statt. Die Planung, Finanzierung und Ernte solcher Projekte ist gemeinschaftsbasiert, folglich werden Risiken und Gewinn geteilt (vgl. Rosol 2018, S. 174).
Diese Art des Denkens ist jedoch noch längst nicht bei jeder Person verankert, weshalb vielen schlichtweg nicht bewusst ist, wie schädlich herkömmliche Produktionsweisen sein können (vgl. Meißner 2021, S. 1). So bleiben Konzepte wie die SoLaWi weiterhin Nischenkonzepte, wenn sich der politische Diskurs nicht wandelt und das Bewusstsein für alternative Versorgungsmethoden in der breiten Bevölkerung nicht geschaffen wird. Dabei sind solche regionalen Versorgungskonzepte krisenresistent und unabhängig von den großen Wertschöpfungsketten.
Wohnen
Alternative Wohnprojekte stellen Gemeinschaft in den Fokus und haben durch die meist gemeinnützigen Bauträger den Nebeneffekt, dass die Wohneinheiten günstiger als auf dem klassischen Wohnungsmarkt und somit für die meisten Bevölkerungsschichten bezahlbar sind (vgl. ARL 2021, S. 4). Weitere Leitbilder sind Solidarität, Inklusion sowie die Generationenmischung. Das Wohnen in einer solchen Gemeinschaft geht somit über bloße Wohnraumbereitstellung hinaus und entwirft ein Modell des Zusammenlebens. Im Rahmen dessen bieten Wohnprojekte häufig die Möglichkeit der Bildung von sozialen Beziehungen und von Netzwerken des Teilens.
Die wirtschaftlichen und ökologischen Ausrichtungen der Wohnprojekte sind dabei immer abhängig von der jeweiligen Initiative. Unterschiedliche soziale Ausrichtungen der einzelnen Wohnprojekte werden jedoch mit der räumlichen Verteilung deutlich. Der Großteil dieser Initiativen findet sich im städtischen Raum, wo die Funktionen deutlich spezieller ausfallen als im ländlichen Raum. Dort ist vor allem die Übernahme der grundlegenden Daseinsvorsorge von Bedeutung.
Auch in der Gründungszeit der Initiativen gibt es deutliche Unterschiede. Während das Schammatdorf Trier aus dem im Wohnabschnitt genannten Beispiel bereits in den 1970er Jahren entstand, folgten die meisten anderen Projekte in Rheinland-Pfalz erst ab den 2010er Jahren. Beispiele hierfür sind die Wohn-Lebens-Gemeinschaft Anschau Hof oder der WohnKulturHof Pluwig. Trotzdem existieren immer noch relativ wenige Wohnprojekte im Land, die tatsächlich als alternative Projekte eingestuft werden können. Es ist also noch ein großes Entwicklungspotenzial vorhanden. Auch bei den Kooperationen zwischen den einzelnen Initiativen gibt es noch Entwicklungspotenzial. Die Initiativen agieren weitgehend unabhängig voneinander und gehen meist auf das Engagement einzelner Personen bzw. Gruppen zurück. Obwohl nur eine begrenzte Anzahl an Menschen in Wohnprojekten lebt, schotten sie sich nicht ab. Oft fungieren sie als Netzwerkknoten für weitere Aktivitäten und Veranstaltungen für die Allgemeinheit.
Ausblick
Das Lehrforschungsprojekt Alternatives Wirtschaften hat sich zur Aufgabe gemacht, durch die Landkarte der Transformation in Rheinland-Pfalz auf Pioniere des Wandels aufmerksam zu machen. So sollen die im Projekt herausgefilterten Akteure und ihre Praktiken durch dieses eine größere Sichtbarkeit erhalten.
Im Laufe des Projektes fiel auf, dass der transformative Fortschritt von Transformationsfeld zu Transformationsfeld stark variiert und diese sich in ihrem eigenen Tempo entwickeln. Dennoch können die einzelnen Felder nicht als Individuen gesehen werden, da es immer wieder Überschneidungspunkte zwischen ihnen gibt. Eine große Abhängigkeit geht dabei vom Transformationsfeld der Arbeit aus, dass durch seinen langsamen bis kaum vorhandenen Wandel maßgeblich den Wandel der anderen Sektoren beeinflusst. Dieser prägt die Erwerbs- und Lohnarbeit unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem sich die anderen Transformationsfelder ebenfalls bewegen und einordnen müssen. Für Bottom-Up-Akteure ist es daher kaum möglich, hier einen Wandel zu erwirken, weshalb eine Reformierung durch das Umdenken auf politischen Ebenen unumgänglich ist, um effektiv und großflächig eine Transformation hin zu Alternativen Wirtschaften zu etablieren.
Dennoch kann festgehalten werden, dass in Rheinland-Pfalz vielfältige transformative Ansätze und Potenziale vorhanden sind, die es in Zukunft weiter zu etablieren und auszubauen gilt. Damit in Zukunft das Prinzip des Alternativen Wirtschaftens in unserer Gesellschaft verankert wird, erscheint es essenziell, dass neben dem weiteren Hervorbringen von Initiativen ein flächendeckendes Umdenken in unserer Gesellschaft stattfindet.
Literatur
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Meißner, M. (2021): Repair is care? - Dimensions of care within collaborative practices on repair cafes. - In: Journal of Cleaner Production, 299. S.
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Senghaus-Knobloch, E. (2011): Ein spannungsreiches Verhältnis – Ökonomisierte Arbeit und Sorgearbeit Arbeitswelt In: Anders Arbeiten. Oekom Verlag. München. S. 26-31.
Spangenberg, J. (2011): Die Grenzen der Natur setzen neue Signale- Arbeitsgesellschaft im Wandel -In: Anders Arbeiten. Oekom Verlag. München. S.15-24.
