Gemeinschaftliches Wohnen:
Problemlöser für Demographie und Klimaschutz?
Autor: Jonas Strupp
Auffächerung der Lebensstile
Die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft und die Ausdifferenzierung der Lebensstile führen dazu, dass die Wohnbedürfnisse einzelner Bevölkerungsgruppen vermehrt divergieren. Das über Jahrzehnte im Fokus der Wohnungsbauplanung gestandene klassische, sprich selbständige und -verantwortliche Wohnen in eigenheimischen Bauten, wird augenscheinlich den vielfältigen Anforderungen einer zunehmend heterogenen Gesellschaft nicht mehr gerecht. Diskurse um „besondere“ Wohnformen, die im Allgemeinen um sogenannte „gemeinschaftliche“ Wohngruppen kreisen, lassen sich dabei bis in die Anfänge der 1970er Jahre zurückverfolgen. (vgl. Beck 2012, S.37f.) (vgl. Kricheldorff 2008, S.237f.) Die seither drastisch einschneidenden gesellschaftlichen Tendenzen des Geburtenrückgangs, einer steigenden Lebenserwartung und ein quantitativer Rückgang der Bevölkerung bedingen einen sozialen Wandel der Gesellschaft. Dieser sozialdemographische Wandel macht sich in Deutschland explizit in individuellen Lebensformen bemerkbar. Auch mit der Auffächerung neuer Lebensformen und Lebensstile verändern sich die Wohnbedürfnisse der Menschen, die neue An- und Herausforderungen für Wohnungen und den Wohnungsmarkt mit sich bringen. Moderne, unkonventionellere Lebensformen und individualisierte Lebensstile beruhen zunehmend nicht nur auf der eigenen häuslichen Lebensgestaltung (vgl. Kricheldorff 2008, S.237f.).
Das „soziale Milieu“ im Sinne der eigenen, individuellen wohnlichen Situation, verknüpft in einem räumlichen Gefüge, rückt wieder mehr in den Bedeutungshorizont und Menschen möchten dieses eigenständig wählen und prägen. Dass sich der Wunsch nach Selbstentfaltung und Selbstbestimmung auch auf die älteren Generationen der dritten und vierten Lebensphase ausprägt, liegt nahe. Schon aufgrund des medizinischen Fortschritts können Senioren noch im höheren Alter unter angepassten Bedingungen ihren Lebensalltag selbstständig führen. Immer mehr Menschen sind dazu bereit, das „Alter(n) aktiv in die Hand zu nehmen.
Daher werden die Herausforderungen in Zukunft insbesondere darin bestehen, den Wohnraum an die Bedingungen der älteren Bevölkerung anzupassen, da im Alter die Wohnlokalität und die unmittelbare Wohnumgebung meist stärker in den Lebensmittelpunkt rücken. Auch sollen moderne, finanzierbare und sozialaktive Wohnformen gleichzeitig das Gefühl vermitteln, in einer (alternden) Gesellschaft nicht nebeneinander, sondern miteinander zu leben, ohne gleichwohl Individualität und Privatsphäre eines jenen Einzelnen zu untergraben (vgl. Schirra-Weirich & Wiegelmann 2016, S.7f.) (vgl. Beck 2012, S.38).
Neben der dynamischen Diversifikation der Lebensformen- und -stile bis ins hohe Alter drängen sich seit Ende der 1970er Jahren im Zuge des nun weitläufig registrierten Klimawandels weitere Anforderungen an ein nachhaltigeres und ökologisch verträglicheres Wohnwesen in die Debatte um dessen nun geforderte „mehrdimensionale“ Ausgestaltung ein.
Abb.1: Wohnfläche pro Kopf in Rheinland-Pfalz (Eigene Darstellung nach Statista 2021)
Grundsätzlich ist im Zuge der gesellschaftlichen und klimatischen Herausforderungen jedoch zu diagnostizieren, dass ebendiese Anforderung einer gegenläufigen räumlichen Entwicklung der Daseinsgrundfunktion „Wohnen“ in Rheinland-Pfalz gegenübersteht: Statistische Daten liefern die Erkenntnis, dass die Wohnfläche pro Kopf in Rheinland-Pfalz über einen Zeitraum von 1991 bis 2020 mit einem Anstieg von 39,4 Quadratmetern (m²) auf 54,3 m², den signifikantesten Zuwachs innerhalb von 30 Jahren jemals verzeichnete (vgl. Statista 2022, o.S.). Lediglich das benachbarte Saarland weist bis dato einen noch höheren pro Kopf Wohnflächenverbrauch auf. Ein Grund für den Zuwachs ist die immer noch zunehmende Versorgung mit Eigenheimen und großen Wohnungen obwohl die Haushalte im Mittel durch soziodemographische Veränderungen immer kleiner und vor allem Ein-Personenhaushalte immer häufiger werden (vgl. Umweltbundesamt 2021, o.S.).
Der Trend zu Haushalten mit weniger Personen führt dazu, dass die Bevölkerung insgesamt mehr Wohnfläche beansprucht. Im Jahr 2018 lag die Wohnfläche pro Kopf in Ein-Personen-Haushalten mit 68 m² um mehr als ein Drittel höher als die Wohnfläche pro Kopf in Zwei-Personenhaushalten mit 49 m². Die Mitglieder von Haushalten mit drei oder mehr Personen beanspruchten sogar nur eine durchschnittliche Fläche von 33 m². Ein wichtiger Grund für die geringere Wohnflächenbeanspruchung pro Person in Mehr-Personenhaushalten ist die gemeinsame Nutzung von Küche, Bad und Flur (vgl. Umweltbundesamt 2021, o.S.).
Im Zuge der in den letzten Jahren politisch intensivierten Bestrebungen zur Reduktion von Emissionen und Energieverbrauch führt jedoch jeder bewohnte Quadratmeter Fläche in Gebäuden zu höherem Energiebedarf, denn die Fläche wird beleuchtet, beheizt, mit Bodenbelag versehen und möbliert sowie sie gereinigt und instandgehalten werden muss. Dies führt zu erhöhtem Energie- und Ressourcenverbrauch und ggf. Schadstoffemissionen (vgl. Mahdavi et al. 2012, S.14ff.). Darüber hinaus belegen Haushalte und ihre Mitglieder nicht nur Wohnfläche innerhalb von Gebäuden, sondern ihnen ist allein oder anteilig auch die Grundstücksfläche, auf der das Wohngebäude steht, zuzurechnen. Hinzu kommt weitere Bodenfläche außerhalb des Wohngrundstücks, beispielsweise etwa die Fläche für Erschließungsstraßen oder andere Infrastrukturen, wie Abwasserbeseitigungsanlagen oder Spiel-, Sport- und Grünflächen, die dem Wohnen dienen. Jede Nutzung von Bodenflächen durch den Menschen hat mehr oder weniger große Auswirkungen auf die Umwelt. Das gilt auch für die Nutzung durch Siedlungsflächen und dadurch bedingt für die Flächen der Verkehrsinfrastruktur. Irreversibel wird etwa in die Fläche eingegriffen, wenn natürliche Bodenstrukturen und -funktionen zum Beispiel durch groß-flächige Versiegelung zerstört werden. Ziel muss es sein, knappe Fläche nachhaltig und umweltschonend, ökonomisch effizient und sozial gerecht mit Rücksicht auf künftige Generationen zu nutzen. (Umweltbundesamt 2021, o.S.) (habito 2021, S.1)
Demnach bedarf es unter Einbezug des dargelegten Wandels der sozialen Wohnanforderungen aller Bevölkerungsgruppen und -altersklassen alternativer, wohl verstärkt gemeinschaftlicher und kommunikativer Wohnkonzepte, die im Einklang mit den beschriebenen vielseitigen gesellschaftlichen und politischen Ansprüchen an das künftige Wohnwesen stehen. Ebendiese Wohnformen werden daher nachstehend den Untersuchungsgegenstand dieses Beitrages darstellen.
Die Landschaft des gemeinschaftlichen Wohnens differenziert sich zunehmend aus, und in der Vielzahl realisierter Projekte spiegelt sich die ebenso zunehmende Bedeutung wieder. Im generellen Sprachgebrauch und der Fachliteratur werden unter dem Begriff „gemeinschaftliche Wohnprojekte“ viele unterschiedliche Wohn-, Bau- und Trägerformen subsummiert. Innerhalb wissenschaftlicher Debatten existieren inzwischen zahlreiche Ansätze, die unterschiedlichen Wohnformen mit Begriffen wie Baugruppen bzw. Baugemeinschaften, gemeinschaftliche Wohnprojekte, CoHousing oder auch Mehrgenerationenwohnen gegeneinander abzugrenzen. (vgl. Brugger et al. 2010, S. 20f.)
Mit breitem Konsens in der Fachwissenschaft weisen „echte“ gemeinschaftliche Wohnformen sechs wesentliche Merkmale auf, welche sich auch in Rheinland-Pfalz wiederfinden (siehe Landkarte der Transformation):
Abb.2: Prinzipien des gemeinschaftlichen Wohnens (Brugger et al. 2010, S.20f.)
Als entscheidende Aspekte für das Gelingen von Projekten wird die richtige Balance zum einen zwischen Nähe und Distanz und zum anderen zwischen Verbindlichkeit und Freiwilligkeit benannt (Mensch 2012, S.7). Auf Basis der skizzierten Merkmale, die beschreibend und keinesfalls als vollends definitorisch zu verstehen sind, lässt sich ein breites Spektrum von Wohn-, Bau- und Rechtsformen ableiten. Explizit zu erwähnen sind hierbei Mehrgenerationenprojekte, die seit den 1990er Jahren zunehmende Bedeutung erlangen und in ihrer Essenz zumeist den Gedanken einer sozialökologischen Wohnform vereinen (vgl. Mensch 2012, S.4f.).
Etablierte Wohntypen und -formen
Nachstehend erfolgt nun eine verknappte Synopse der etablierten Typen- und Formenvielfalt, welche sich hier auf eine Darstellung selbstorganisierter, an Stelle von institutionellen gemeinschaftlichen Wohnformen, forciert.
Mehrgenerationenwohnen:
Die wesentliche Zielsetzung ist hier nicht ein denkbar ruhiges oder zurückgezogenes Wohnen im Alter, sondern die gegenseitige Hilfe der Generationen für- und untereinander. In einem Wohnkonzept “Mehrgenerationenwohnen” ist der Anspruch an die Alltagsgestaltung demnach ein durchaus anderer als bei klassischen Wohnformen.
Das zentrale Merkmal findet sich in einer heterogenen Bewohner:Innenstruktur hinsichtlich des Alters und der sozialen Herkunft von etwa acht bis deutlich mehr Bewohner:Innen in einem Haus. Jeder Bewohner:In oder jede Bewohner:Innengruppe des Hauses verfügt über eine eigene Wohnung und hat Zugang zu integrierten Gemeinschaftsräumen. Ziel und Intention von Mehrgenerationenwohnprojekten ist zumeist, ein nachbarschaftliches Gemeinschaftsverhältnis zwischen den Bewohner:Innen des Hauses herzustellen und die aktive Beteiligung und Unterstützung jedes Einzelnen am Gemeinschaftsleben (vgl. Hechtfischer 2013, S.13f.)
Senioren-Wohngemeinschaft (“Senioren-WG”):
Wohngemeinschaften (WGs) werden auch bei Älteren immer beliebter. In einer so genannten Senioren-WG wohnen ältere Menschen zusammen, die am Ende ihrer Erwerbstätigkeit stehen oder sich bereits im Ruhestand befinden. Die Motivation dahinter ist zumeist, dass die älteren Personen auch im höheren Alter zwar nicht allein leben möchten, aber dennoch so selbstbestimmt wie möglich. (vgl. Czycholl 2015, o.S.)
Wohngenossenschaft:
Um ein Wohnprojekt als Genossenschaft zu organisieren, bieten sich im Kern drei Typen für die Realisierung an. Bei Typ 1 handelt es sich um eine Traditionsgenossenschaft. Die überwiegend größeren Wohnungsgenossenschaften stammen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bis zur frühen Nachkriegszeit und weisen daher einen hohen Anteil älterer Wohnungsbestände auf. Die Bestandsschutz-Genossenschaften beschreiben einen weiteren Ausgestaltungstyp dieser Wohnform. Diese übernehmen als bestehende oder neu gegründete Genossenschaften oftmals größere Wohnungsbestände von kommunalen Wohnungsunternehmen, die dann je nach dem Bedarf privatisiert werden müssen. Zuletzt werden „junge“ Genossenschaften definiert, die überwiegend neu gegründet werden und kleinere Wohnprojekte, zumeist von engagierten Gruppen initiiert, verfolgen. Das am häufigsten vertretene Ziel dieser jungen Genossenschaften, das gemeinschaftliche Zusammenleben zu fördern, ist am stärksten mit der eigentlichen Ideologie eines gemeinschaftlichen Wohnprojektes zu vereinbaren. Vorteile des Modells einer Genossenschaft für gemeinschaftliche Ausrichtungen sind die Möglichkeiten zur Partizipation und Mitbestimmung der zukünftigen Bewohner:Innen (vgl. Spellerberg 2018, S.16).
Abschließend sind folgende Charakteristika für das Wohnen in Genossenschaften festzusetzen: Verglichen mit den mittleren Mietpreisen auf dem Wohnungsmarkt weisen genossenschaftlich organisierte Wohnprojekte deutlich geringere und beständigere Mieten auf. Außerdem bieten sie die Möglichkeit zur Partizipation und Mitbestimmung der Teilnehmer:Innengruppe an sowie ihnen dort ein lebenslanges Wohnrecht grundsätzlich zusteht (vgl. Spellerberg 2018, S.16).
Co-Living-Spaces:
Co-Living ist die Umschreibung für gemeinschaftliches, temporäres Wohnen. Typisch ist ein modern eingerichteter Gebäudekomplex, in welchem eine Gemeinschaftsküche wie gemeinschaftliche Wohnräume und Bäder angeboten werden. Den Bewohner:Innen steht jeweils zusätzlich ein Privatraum oder Apartment bzw. Clusterwohnung zur alleinigen Nutzung zur Verfügung. Das Raumkonzept variiert je nach Verfügbarkeit von „Space“. Die Räume sind bereits vollständig möbliert. Auch für Alltägliches wie Bettwäsche, Besteck etc. ist gesorgt. Interessenten können folglich mit leichtem Gepäck – ähnlich wie im Hotel – einziehen. Genauso schnell dürfen sie, wenn sie wollen, aber auch wieder ausziehen. Je nach Angebotsumfang und Standort des Co-Living Space kann das Wohnen sogar günstiger als klassisches Mieten sein. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass Nebenkosten wie Heizung, Strom, Internet bereits im Preis inbegriffen sind (Berlin: 30€ pro Quadratmeter Co-Living/20€ pro Quadratmeter Mieten) (Pechlaner & Innerhofer 2017, S.98ff).
Das Gemeinschaftsgefühl steht bei Co-Living im Mittelpunkt. Es wird nicht nur zusammen gekocht und gegessen, sondern auch der Austausch privater wie beruflicher Projekte gefördert. Regelmäßig finden Zusammenkünfte statt, die wie kleine Events anmuten, die die Bewohner selbst veranstalten. Das können beispielsweise Vorträge oder auch Konzerte sein. Co-Living spricht in der Regel Personen an, die zur Arbeit pendeln müssten, ortsunabhängig arbeiten oder oft den Standort wechseln sowie junge Arbeitnehmer:Innen. Das Konzept eignet sich für jeden, dem das Leben in einer Gemeinschaft sehr wichtig ist, sich aber nicht mit den Problematiken des klassischen WG-Lebens beschäftigen möchte (Pechlaner & Innerhofer 2017, S.98ff.).
Nach Darlegung der Entstehung, Relevanz und Merkmale alternativer Wohnkonzepte wird nun der Versuch unternommen, ein mögliches Zukunftsbild dieser Trendentwicklung auszumalen. Dabei werden grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse und Annahmen mit denen durch das veranschlagte Studiendesign dieses Forschungsprojektes generierten Ergebnissen verknüpft und bewertet.
Angesichts der aufgezeigten gesellschaftlichen Entwicklungen lässt sich Gemeinschaftliches Wohnen in einer ersten Facette als eine Gegenbewegung dazu beschreiben. Dabei lässt sich eine Reihe an Haus- oder Siedlungsgemeinschaften in Rheinland-Pfalz vorfinden, die folglich gängige gesellschaftliche Verhältnisse hinterfragen und sich umfassend für soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit einsetzen.
Unterschiedlich weitgehend zeigten sich in unserer Forschung Elemente der Selbstverwaltung und -organisation, Basisdemokratie, teilweise auch gemeinsame Haushaltsführung und Versorgungsstrukturen (z.B. Food-Coops, Gemeinschaftsauto, Kinderbetreuung). Insbesondere intensive, den Alltag umfassende, Formen Gemeinschaftlichen Wohnens – z.B. ganze Ökodörfer- können Elemente alternativer Gesellschaftsstrukturen, wie etwa autarke ökologische Versorgung, gemeinsame auch finanzielle Haushaltsführung, alternative Arbeitskontexte u. ä. aufweisen. Sie verkörpern demgemäß einen Gegenentwurf zu herrschenden Verhältnissen und wollen eine zugrundeliegende Sozialutopie zumindest in begrenztem Rahmen leben, wobei diese Art dörflicher Strukturen in Rheinland-Pfalz bisher jedoch nicht identifiziert werden konnte. Im Rahmen einer lebensverlaufsorientierten Analyse des Wohnens bis zum höheren Lebensalter sind Wohnen und Biografie durchaus eng verknüpft (vgl. Höpflinger et al. 2019, S.263ff.).
Wohnerleben im Alter fußt auf bisherigen Wohnerfahrungen. Ebenso sind Umzugsabsichten und -wünsche im Alter biografisch eingebettet, wie das Projekt des „Anschau Hof“, ein gemeinschaftlicher Wohnhof mit 3 Familien im ländlichen Kleindorf Anschau (für weitere Infos hier klicken) in Rheinland-Pfalz verdeutlicht. (vgl. Interview Anschau Hof, 17.12.2021). Zudem spielen neben der Wohnbiografie die aktuelle soziale Lage (finanziell, familiär) sowie die Antizipation und das Erleben altersbezogener Veränderungen eine Rolle. So zeigt sich empirisch, dass schon leichte und für Alltagsaktivitäten noch wenig relevante Gesundheitsprobleme das Interesse an altersgerechten Wohnformen erhöhen.
Wohnbiografische Dimensionen können im Alter durch funktionale Einschränkungen überlagert werden, was entsprechend zu wohnbezogenen Diskontinuitäten – wie einen erzwungenen Wechsel in eine betreute Alterswohnung oder eine Pflegeeinrichtung – führen kann (vgl. Höpflinger et al. 2019, S.263ff.).
Unsere Erkenntnisse zeigen gleichwohl, dass dieser nun „erzwungene“ Wechsel durch den Einzug, insbesondere in vielschichtige Mehrgenerationenhäuser, teils abgewendet werden kann, indem durch ein gemeinschaftliches Miteinander, die Pflegetätigkeit an die ebenfalls wohnhaften Personen übergeben werden kann.
Wohnveränderungen gehen im höheren Lebensalter häufig mit anderen Übergängen einher: Auszug der Kinder, Pensionierung ebenso wie Partnerverlust durch eine späte Scheidung oder einen Todesfall können Wohnveränderungen initiieren (etwa wenn ein Partnerverlust zum Verkauf des bisherigen Familienhauses führt), unter Berücksichtigung des demographischen Wandels könnte daher künftig eine verstärkte Nachfrage an gemeinschaftlichen und sozialaktiven Wohnformen zu vermuten sein (vgl. Interview Anschau Hof, 17.12.2021).
Gemeinsames Wohnen wirklich energiesparender?
Explizit im Hinblick auf einen zukunftsorientiertes, durchaus der demographischen Entwicklung adäquatem Wohnangebot, stellt sich weiterhin die Frage, inwieweit gemeinschaftliche Wohnformen als Maßnahme zur Minderung der Wirkungseffekte des Klimawandels geeignet sein könnten. Auch wenn es bisher keine belastbaren quantitativen Szenarien gibt, die darstellen wie viel Energieeinsparung und Emissionsminderung durch Suffizienzmaßnahmen im Bereich Bauen und Wohnen erreicht werden könnte, zeigt sich doch, dass es Konzepte und Ansätze (z.B. Anschau Hof, Z.WO) gibt, die zu einer geringeren Wohnfläche und Ausstattung von Haushalten führen können (vgl. Interview Anschau Hof, 17.12.2021) (vgl. Interview Z.WO eG, 26.11.2021).
Abb.3: Energiesparpotenzial gemeinschaftlicher Wohnformen (Eigene Darstellung nach IZT 2019, S.3)
Aus ökologisch-ökonomischem Betrachtungswinkel erlauben Gemeinschaftswohnprojekte ein erhebliches Einsparpotential. Bei vielen Projekten liegen sowohl die Nettokaltmieten als auch die Betriebskosten unter den regionalen Vergleichswerten. Ökologisch bestehen relevante Reduktionspotentiale. Der durchschnittliche Heizwärmeverbrauch und der Energieverbrauch für Warmwasserbereitung pro Person liegt 55 Prozent unter dem regionalen Referenzwert. Diese positiven Effekte sind es, die gemeinschaftliche Wohnformen sowohl für den städtischen als auch den ländlichen Raum interessant machen. (vgl. IZT 2019, S.3) Auch wirken gemeinsame Haushalte hier als kollektives Korrektiv, indem auf eine energiesparende und nachhaltige Lebensführung hingewiesen werden kann bzw. gemeinschaftliche Nutzungskonzepte von Mobilität oder Versorgung erarbeitet werden können (vgl. Interview Anschau Hof, 17.12.2021).
Die Initiativen, die hinter den untersuchten Projekten stehen sind zumeist sozial oder ökonomisch motiviert, politische Anstöße sind in unserer Forschung weniger auszumachen. Ein ökologischer Mehrwert wird nach unserer Auffassung gerne mitgenommen, ist aber nicht unbedingt der primäre Anstoß.
Allein vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass eine politische Förderung individueller, gemeinschaftlicher Wohnformen und anderer Konzepte für flächenreduziertes Wohnen nicht nur helfen kann, den Flächenverbrauch und Energieverbrauch in Deutschland zu mindern, sondern auch vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft sinnvoll ist, um ein zukunftsfähiges, altersgerechtes sowie „sozialaktiveres“ Wohnangebot zu etablieren. Und nicht zuletzt wäre sie ein wichtiger Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele im Gebäudebereich, wenngleich ein „Allheilmittel“ hinsichtlich eines bis zum Jahre 2045 klimaneutralen Deutschlands in gemeinschaftlichen Wohnkonzepten jedoch zu finden ist.
Mit räumlichem Bezugsrahmen „Rheinland-Pfalz“ unseres Forschungsprojektes sind dort derzeit 32 gemeinschaftliche Wohnprojekte und über 40 Gruppen vorzufinden, die sich auf den Weg machen, ein gemeinsames Wohnprojekt umzusetzen.
Abb.4: Gemeinschaftliche Wohnprojekte Rheinland-Pfalz (Landesregierung 2016, S.8)
Hier sollen in Zukunft zur Vereinfachung und Unterstützung der kartierten Projekte die soeben postulierten Fördermaßnahmen greifen: Für Wohnprojekte, die durch das ISB-Programm zur Mietwohnraumförderung unterstützt werden, kann beispielsweise eine geförderte Wohnung zur gemeinschaftlichen Nutzung für die Hausgemeinschaft vorgesehen werden. Voraussetzung ist, dass mindestens 8 Wohnungen in einer Wirtschaftseinheit geschaffen und von diesen mindestens 50 Prozent gefördert werden. Es sind besondere Regelungen zu beachten, u.a. für die Größe der Wohnung und das Umlegen der Mietkosten.
Angesprochen sind private Initiativen, Vereine, Verbände, aber auch Kommunen sowie die Sozial- und Wohnungswirtschaft. Förderfähig sind weiterhin Kosten für Moderation, professionelle Begleitung, Öffentlichkeitsarbeit, Personal- und Sachkosten oder Fachleute für innovative Projekte des Neuen Wohnens. (vgl. Landesregierung 2016, S.53f.)
Die bislang eher städtischen Projekte werden dabei nun zunehmend auch im ländlichen Raum erprobt. Ziel der Initiativen ist es, selbst organisiert, in eigener Verantwortung und nach eigenen Vorstellungen zu wohnen, die Privaträume häufiger zu verlassen und in Gemeinschaft etwas zu erleben. Aktuell bestehen weitere 32 Initiativen, die sich auf den steinigen Weg der Planung begeben haben. Sowohl organisatorische, rechtliche, finanzielle und soziale Hürden sind zu nehmen, bevor meist nach Jahren der Einzug in ein Projekt vollzogen werden kann.
Gemeinschaftliches Wohnen ist im Land Rheinland-Pfalz schlussendlich vielfältig ausgeprägt, generationenübergreifend oder nicht, im umgebauten Altbau oder im Neubau, als Verein oder GbR organisiert etc. Allen Wohnformen liegen demnach unterschiedliche Konzepte zu Grunde, sie haben eigene Schwerpunkte, Besonderheiten und Zielgruppen. Doch im Kern eint sie: Der Wunsch nach Leben und Wohnen in der Gemeinschaft.
Literatur
Beck, S. (2012): Gemeinschaftliches Wohnen: zwischen gelebter Sozialutopie, pragmatischer alltäglicher Lebensführung und instrumentalisierter Vergemeinschaftung. Widersprüche: Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits-und Sozialbereich, 32(124), 33-53.
Brugger, E. et al. (2010): Studie am Beispiel des Projektes „Lebensraum “zur Erhebung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzens der Wohnform „Cohousing “für das Land Niederösterreich. – URL: http://www.atelierdeubner.at/images/publikationen/forschung/ cohousingstudie_2010_05_20.pdf [10.01.22]
Czycholl, H. (2015): Es muss nicht gleich das Senioren-Heim sein. – URL: https://www.welt.de/finan-zen/immobilien/article146125879/Es-muss-nicht-gleich-das-Senioren-Heim-sein.html (25.01.22)
Habito (2021): Gemeinschaftlich Wohnen in Potsdam. Ergebnisse einer Bevölkerungsbefragung. – URL: https://www.izt.de/fileadmin/downloads/pdf/IZT_Broschuere_Gem_Wohnen_Potsdam_web_170619.pdf [10.01.21]
Hechtfischer, S. (2013): Gemeinsam statt einsam. Alternative Wohnformen im Alter. Marburg. Tectum Verlag.
Höpflinger, F. et al. (2019): Wohnen in den späten Lebensjahren. Grundlagen und regionale Unterschiede, Age Report IV, Zürich: Seismo-Verlag. – URL: https://public-health-services.ch/wp-content/uploads/Salis-Gross.pdf [24.01.22]
IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung GmbH (2019): Gemeinschaftlich Wohnen in Potsdam. Ergebnisse einer Bevölkerungsbefragung. – URL: https://www.izt.de/fileadmin /downloads/pdf/IZT_Broschuere_Gem_Wohnen_Potsdam_web_170619.pdf [26.01.22]
Kricheldorff, C. (2008): Neue Wohnformen und gemeinschaftliches Wohnen im Alter. In: Buchen S., Maier M.S. (eds) Älterwerden neu denken. VS Verlag für Sozialwissenschaften
Landesregierung RLP (2016): Förderung gemeinschaftlicher Wohnformen in Rheinland-Pfalz.
Mahdavi, A. et al. (2012): Neues Wohnen im Alter – ökologisch, gemeinschaftsorientiert u. finanzierbar. Innovation und Technologie Bundesminitersium für Verkehr, Berichte aus Energie-und Umweltforschung, 6. – URL: https://nachhaltigwirtschaften.at/resources/hdz_pdf/endbericht _1206_60plus.pdf [10.01.22]
Mensch, K. (2012): »Bericht zur Fachtagung«. In: Schader-Stiftung (Hg.): Bericht zur Fachtagung. Gemeinschaft bauen. Veränderte Gesellschaft – neue Wohnformen. 9. Februar 2012, Darmstadt. Darmstadt – URL: https://www.schader-stiftung.de/fileadmin/content/Bericht_Gemeinschaften _bauen_-_Veraenderte_Gesellschaft_-_neue_Wohnformen_2_2012.pdf [24.01.22]
Pechlaner, H., & Innerhofer, E. (2017): Temporäre Konzepte: Coworking und Coliving als Perspektive für die Regionalentwicklung. Kohlhammer Verlag.
Schirra-Weirich, L., & Wiegelmann, H. (Eds.). (2016): Alter (n) und Teilhabe: Herausforderungen für Individuum und Gesellschaft. Verlag Barbara Budrich.
Spellerberg, A. (2018): Neue Wohnformen – gemeinschaftlich und genossenschaftlich. Erfolgsfaktoren im Entstehungsprozess gemeinschaftlichen Wohnens. Wiesbaden: Springer VS.
Statista (2022): Wohnfläche je Einwohner in Rheinland-Pfalz von 1991 bis 2020. – URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/263373/umfrage/wohnflaeche-je-einwohner-in-rheinland-pfalz/ [13.01.22]




